Zwei Kindergartenkinder an einem Kohlrabi-Beet

Kitas in Namibia

Wie sehen Kitas in Namibia aus? Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Und was können wir von ihnen lernen? Jasmin Geisler – Sozialpädagogin, Anti-Bias-Trainerin und Gründerin des Sustainable House in Namibia – gibt Auskunft. Ein Interview in Ton und Text.

Jasmin Geisler ist Sozialpädagogin, Anti-Bias-Trainerin sowie Trainerin für sevengardens. Sie hat das bundesweite Projekt FaireKITA mit gegründet und viele Jahre koordiniert. Danach hat sie ein Partnerschaftsprojekt zwischen NRW und Namibia mitgetragen. Jasmin Geisler erhielt für ihre Projekte bereits zahlreiche Auszeichnungen wie den Fairtrade Award, den Nachhaltigkeitspreis Zeitzeichen N oder auch den internationalen Award für faire und nachhaltige Beschaffung im Bereich Bildung. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Namibia. Dort baut sie das Sustainable House Namibia (https://thesustainablehouse.org) mit auf, zu dem unter anderem auch ein Lerngarten für Kitas gehört. Wir freuen uns, dass sie mit uns über das Land und das Leben in Namibia gesprochen hat.

Wie sieht ein ganz normaler Tagesablauf in einer Kita in Namibia aus?

Jasmin Geisler: Einen richtigen Tagesablauf gibt es in vielen Kitas in Namibia in der Form nicht. Private Einrichtungen, wie Montessori- oder Waldorf-Kindergärten, haben einen sehr strukturierten Ablauf, wie wir das auch aus Deutschland kennen. In den Kitas in Dorfstrukturen oder in Stadtteilen mit ärmeren Menschen gibt es diesen typischen Tagesablauf aber nicht. Auf den ersten Blick wirkt das für uns recht improvisiert. Aber auch hier erhalten die Mitarbeiter:innen natürlich Strukturen. Etwa durch einen Morgenkreis mit Gesang oder Gebeten – sehr viele Menschen in Namibia sind Christinnen und Christen und der Glaube spielt eine sehr wichtige Rolle. Außerdem gibt es Spielzeiten oder Zeiten, in denen gemeinsam gelesen wird.

Welche Rolle spielen Klima- und Umweltschutz in Kitas in Namibia?

Jasmin Geisler: In der Kita selbst kommt das Thema eigentlich gar nicht vor. In Namibia sagen viele Erzieherinnen und Erzieher: »Wieso müssen wir das als Thema aufnehmen? Wir leben doch schon total umweltbewusst.« Und das stimmt. Es gibt in Namibia – anders als in Deutschland – zum Beispiel einen ganzen Rechtsbereich, der sich mit dem Schutz wild lebender Tiere befasst. Und im Vergleich zu den Menschen in Deutschland gibt es hier in Namibia eine ganz andere, Ressourcen schonendere Lebensweise. Auch gehen die Menschen bewusster mit der Natur um. Nichtsdestotrotz würden für mich Themen wie »Klimawandel« oder »Bildung für Nachhaltige Entwicklung« auch in eine namibische Kita gehören. Aber bisher sind dies eher Randthemen in den meisten Einrichtungen.

Jasmin Geisler zeigt Interessentinnen Pflanzenfarben an einem Tisch.
Jasmin Geisler (links mit Maske) am Infostand mit Pflanzenfarben.

Was begeistert dich an der Arbeit mit namibischen Kitas?

Jasmin Geisler: Ich finde die Vielfältigkeit, die es hier gibt, total spannend. Von privaten Einrichtungen bis zu den von der Regierung getragenen, die aus der Not heraus irgendwie entstehen. Das betrifft zum einen die Vielfalt an Trägerorganisationen. Aber auch die Vielfalt der Arbeit und der Qualität. Teilweise ist das Personal unqualifiziert. Das bedeutet nicht unbedingt, das es schlecht ist. Manche können nur einfach keine Papiere vorweisen.

Neben der Vielfältigkeit begeistert und motiviert mich die Improvisationsfähigkeit. Hier müssen Erzieher:innen ständig improvisieren. Der Kopierer funktioniert nicht oder es gibt kein Geld, um Kopien zu machen. Es gib keine Farbstifte. Es gibt keine Bücher. Und trotzdem leisten die Einrichtungen immer gute Arbeit und bereiten die Kinder gut vor. Das finde ich wirklich spannend.

Mich begeistert auch, dass das Curriculum nur für die Vorschule festgeschrieben ist. Das ist – wie in Deutschland auch – das letzte Kita-Jahr vor der Schule. Oft ist der Vorschulbereich jedoch an die Schule angedockt und nicht an die Kita. Wenn ein Kind das Vorschuljahr erreicht, ist das hier ein großes Ereignis. Die ganze Familie feiert. Die Kinder bekommen Geschenke und diese Universitätsuniform mit Robe und Hütchen. Dann werden Lieder gesungen und die Kinder erhalten eine Urkunde, weil sie jetzt zu den Großen gehören und in die Vorschule gehen.

Wichtig ist auch das Glücklichsein, das sich bisher in jeder Einrichtung, die ich kennenlernen durfte, ganz anders entwickelt und gezeigt hat. Dinge, die aus deutscher Sicht Kleinigkeiten sind, werden hier viel mehr geschätzt. Meine Arbeit in Namibia hat mich unglaublich auf den Boden zurückgeholt, was ich sehr sehr gut finde.

Was mich schließlich auch total begeistert, ist die Mehrsprachigkeit, die es in jeder Einrichtung gibt. In Deutschland ist es häufig schon schwierig, eine bilinguale Einrichtungen zu finden, die beispielsweise Englisch und Spanisch anbietet. Hier gibt es zwölf verschiedene Sprachen. Eine Erzieherin oder ein Erzieher steht daher oft vor der Herausforderung, dass ein Kind beispielsweise noch kein Englisch kann. Aber die Muttersprache des Kindes ist nicht unbedingt die der Erzieherin oder des Erziehers. Je nach Region sind das sehr unterschiedliche Sprachen. Trotzdem versuchen sie dem Kind in der jeweiligen Sprache Unterstützung zu bieten. Es ist total spannend mit anzusehen und mitzuverfolgen, wie die Menschen in Namibia damit umgehen.

Mit dem Sustainable House bietet auch ihr einen Lernort an. Worum geht es da?

Jasmin Geisler: Die Arbeit des Sustainable House baut auf vier Säulen auf: Die erste Säule ist die Ernährungssicherheit. Dazu gehört auch der Lerngarten, indem wir Menschen zeigen, wie sie Lebensmittel selbst anbauen können. Dazu gehört zum Beispiel auch Permakultur mit Kindern – auch mit Kita-Kindern. Wir unterstützen Kitas in Namibia oder auch Schulen beispielsweise dabei, ihren eigenen Garten anzulegen. So können sie zum einen ihren eigenen Lernort zu gestalten. Zum anderen können sie dort aber auch Lebensmittel anbauen. Denn viele Kitas, die nicht in privater Hand sind, haben wirklich Schwierigkeiten, die Kinder tagsüber zu versorgen. Und damit sie nicht auf Suppenküchen angewiesen sind, legen sie Gärten an.

Der zweite Säule ist das Empowerment von Frauen. Hier gibt es Überlappungen. Sehr viele Frauen arbeiten in Kitas in Namibia als Erzieherinnen. Und viele von ihnen wollen neben dieser Arbeit ein Business aufbauen. Hier kommen wir ins Spiel. Wir unterstützen Frauen bei der Gründung von Kleinunternehmen: Erklären, wie Marketing geht, wo sie ihre Nische finden können, welche Schwierigkeiten es gibt und in welche Richtung sie gehen wollen. Und auch zum Empowerment von Frauen gehört es, dass sie Gärten anlegen. In Namibia ist es Frauen noch nicht lange möglich, Land zu besitzen und zu bewirtschaften.

Die dritte Säule und unser Hauptangebot für Kitas und Schulen, ist Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Globales Lernen. Das heißt, es gibt Fortbildungskurse, die teilweise digital, teilweise vor Ort ablaufen. Wir versuchen alle, unabhängig von ihrer Kita-Struktur, zu erreichen und einzubinden. Das ist manchmal nicht ganz so einfach. Denn in Namibia steht BNE noch relativ am Anfang. Sie ist noch nicht so stark implementiert, wie in Deutschland. Viele Kitas und Schulen können mit den Begriffen gar nichts anfangen. Da müssen wir aufpassen, dass wir niemanden überfordern. Schließlich gibt es das Überwältigungsverbot in unserer Arbeit. Deshalb geht es uns darum, ganz klein anzufangen.

Die vierte Säule des Sustainable House ist wiederum ein Schwerpunkt für Kitas. Und zwar geht es da um den Aufbau nachhaltiger Kita-Partnerschaften. Dabei können Kitas von überall auf der Welt mitmachen und eine Kita in einem anderen Land oder gar Kontinent finden, mit der sie sich auf Augenhöhe austauschen zu Themen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, aber auch Nachhaltigkeit im Allgemeinen. Und um Kindern überall auf der Welt einen echten Einblick vom Leben in anderen Ländern zu geben. Auf diese Weise lassen sich Stereotype aufbrechen. Dazu bieten wir Vorbereitungskurse für alle gemeinsam an.

Ein Kind und eine Frau knien auf einer Weltkarte und erkunden sie.
Ein Ziel des Sustainable House in Namibia ist es, Globales Lernen und Bildung für Nachhaltige Entwicklung in den Kitas zu verankern.

Wenn eine Kita an einer Partnerschaft interessiert ist, wie kann sie bei dem Programm mitmachen?

Jasmins Geisler: Das ist ganz einfach: Sie braucht einfach nur eine E-Mail an uns zu schicken. Dann gibt es einen kleinen Steckbrief, den die Kita ausfüllen kann. Schön ist es auch, wenn es bereits eine Präferenz gibt. Manche Erzieherinnen oder Erzieher bringen schon etwas Background mit. Sie sagen zum Beispiel: »Ich war schon so oft in Guatemala. Ich hätte gerne eine Partnerschaft mit Guatemala für meine Kita«. Oder Namibia oder Südafrika oder welches Land auch immer.

Und dann wird die Kita in die Community aufgenommen. Dabei handelt es sich um einen digitalen Bereich, in dem regelmäßig Termine für Fortbildungen eingestellt werden. In diesen können sich Kitas untereinander austauschen. Jede Einrichtung kann sich ihr eigenes Profil anlegen. Auf diese Weise bringen wir erst einmal die verschiedenen Einrichtungen miteinander in Verbindung. Und dann zeigt sich, was sich daraus ergibt. Welche Sympathien sind innerhalb der Fortbildungskurse entstanden? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Denn natürlich sollte so eine Partnerschaft nicht aufgedrückt werden. Dabei ist auch der Steckbrief hilfreich. Wenn es zum Beispiel um eine Montessori-Einrichtung geht, dann ist es sinnvoll zu schauen, ob es auch eine Montessori-Einrichtung irgendwo anders auf der Welt gibt, die interessiert ist, und beide dann zu verlinken. Dann haben beide Partner-Kitas schon mal eine Gemeinsamkeit, an der sie arbeiten und über die sie sich austauschen können.

Apropos Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Was können Kitas von denen in Namibia lernen?

Jasmin Geisler: Was man von namibischen Kitas lernen kann ist Geduld und Ausdauer. Zurück zum Minimalismus und wie man mit kleinen und wenigen Dingen zurechtkommen kann. »Weniger ist mehr« ist hier das Motto. Grundsätzlich geht es darum, Stereotype und Vorurteile aufzuweichen. Auf beiden Seiten. Denn auch auf namibischer Seite gibt es selbstverständlich Vorurteile, was die Deutschen betrifft. Viele Namibier:innen denken, dass alle Weißen einen Pool, Angestellte und ein großes Haus haben. Sie stellen sich die Kitas in Deutschland riesengroß vor. Und jedes Kind hat seinen eigenen Spielplatz und einen Riesengarten und total viele Möglichkeiten. Doch natürlich gibt es auch in Deutschland Einrichtungen, die das nicht haben. Deshalb ist es so spannend, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, um solche Vorurteile und Stereotype abzubauen.

Was man noch von Namibia lernen kann ist der Respekt, der Erzieher:innen entgegengebracht wird. Als Erzieherin oder Erzieher ist man hier eine Lehrkraft. Wer ihnen nach der Schulzeit irgendwo auf der Straße begegnet, der grüßt sie mit dem respektvollen »Hi Teacher« und nicht einfach nur mit dem Namen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Eltern aus?

Jasmin Geisler:Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist sehr ähnlich, wie wir das in Deutschland kennen. Auch hier gibt es Elternabende. Auch hier werden Eltern in verschiedene Aktionen eingebunden. Auch hier gibt es Eltern-Kind-Nachmittage und vieles mehr. Ein Unterschied ist jedoch, dass in Namibia auch die Großeltern sehr stark eingebunden sind. Denn einige Kinder wachsen nicht bei ihren Eltern auf, sondern bei ihren Großeltern. Das hat verschiedene Hintergründe. Teilweise ist das traditionell bedingt. Teilweise hängt es aber auch damit zusammen, dass beide Elternteile arbeiten müssen – etwa auch in den Städten. Die Kinder wachsen hingegen eher in den kleineren Städten oder Dorfstrukturen bei den Großeltern auf. Und je nachdem bindet man hier dann eben nicht nur die Eltern mit ein, sondern auch die Großeltern.

Welches Spiel, Lied oder Buch aus Namibia für Kinder kannst du weiterempfehlen?

Jasmins Geisler: Es gibt ein sehr schönes Lied, bei dem die Kinder Schmetterlinge sein können, und das ganz einfach ist: »Fly fly, butterfly. Fly fly butterfly. I want to see you flying.« Während die Kinder dieses Lied singen, spielen viele von ihnen, sie wären ein Schmetterling und tanzen so durch den ganzen Raum. Das gibt eine total positive Energie.

Außerdem möchte ich zwei Bücher empfehlen, die aus Namibia kommen. Das eine ist »Mein Kinderatlas – Namibia in Bildern«, das andere ist »Abenteuer Namibia«. Beide sind von der namibischen Autorin Hilma Weber geschrieben und von namibischen Künstler:innen illustriert. Beide Bücher sind wunderbar geeignet für die Arbeit mit Kindern – beispielsweise in Deutschland, aber auch in Namibia, um das Land besser kennenzulernen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Buchtipps


Hilma Weber ist eine namibische Autorin, die heute mit ihrer Familie in der Schweiz lebt und mehrere Kinderbücher veröffentlicht hat (https://hilma-weber.com).

Mein Kinderatlas – Namibia in Bildern
Das Bilderbuch nimmt Kinder mit auf eine visuelle und interaktive Reise durch Namibia. Es enthält viele Informationen und sorgt so für Diskussionsstoff zwischen Kinder und Erwachsenen. Zu bestellen ist die deutschsprachige Version beim Verlag Orrel Füssli. In englischer Sprache lässt sich das Buch als PDF kostenlos herunterladen.

Abenteuer Namibia
Dieses Buch erzählt die Geschichte von zwei Kindern, die durch Namibia reisen. Dabei entdecken sie die zauberhafte Landschaft und die magischen Orte des Landes. In deutscher Sprach lässt sich das Buch bei NamibiaBooks bestellen. In englischer Sprache können Sie es als PDF kostenlos herunterladen.