Meine Ausbildung bei den kleinen Zauberern in Lettland

Der Beginn einer Ausbildung ist ja schon immer ein kleines Abenteuer, doch wie ist es, wenn man Teil der Europaklasse wird und ein viermonatiges Praktikum in einem anderen Land absolviert?

Vorfreude: Das Fröbelseminar

Aufgeregt hielt ich die Zusage der Fachschule für Sozialpädagogik in der Wagnerstraße „Fröbelseminar“ in den Händen. Nun war es offiziell: In ein paar Monaten würde ich nicht nur mit meiner Ausbildung zur Erzieherin beginnen, sondern auch im Rahmen der Europaklasse ein viermonatiges Auslandspraktikum absolvieren. Europaklasse – das klingt sehr bedeutungsvoll, wie ich finde. Doch was genau erwartete mich dabei? Wohin führt mich diese Reise?

Das erfuhr ich erst ein paar Monate später. Nur ein paar erste Informationen hatte ich schon bei der Einführungsveranstaltung bekommen. So wusste ich, dass ich die Auswahl zwischen Lettland, Estland, Österreich, Litauen und Dänemark hatte und nicht alleine, sondern in einer selbst gewählten Gruppe aus dem Klassenverband reisen würde. Das hörte sich schon mal gar nicht schlecht an!

Vorbereitungen des Auslandspraktikums

Nach einer intensiven Gruppenfindungsphase stand fest: Ich sollte zusammen mit fünf weiteren Mitschüler*innen für vier Monate nach Riga, in die Hauptstadt Lettlands reisen! Doch, wie klingt eigentlich Lettisch? Wie sieht es in Riga aus? Diese und viele weitere Fragen begleiteten mich durch die intensive Vorbereitungsphase.

Dabei erhielten wir nicht nur eine fachkundige Vorbereitung für unsere Zielländer. Unsere Klassenlehrerin begleitete uns auch dabei, uns mit unseren Vorurteilen auseinanderzusetzen. Zum Beispiel die Frage, was wir für typisch lettisch hielten? Oder was unserer Meinung nach Lettland ausmachte? Auch unsere Erwartungen nahmen wir unter die Lupe: Was erhofften wir uns von unserem Praktikum?

Das Abenteuer: Auf nach Lettland

Im Februar 2007 war es dann endlich so weit, meine Reise nach Lettland begann. Nachdem wir unsere Vierzimmerwohnung im Herzen von Riga bei einem sehr sympathischen älteren Ehepaar bezogen hatten, begann unsere Erkundungstour durch die Stadt. Zanette – unsere Betreuerin – begleitete uns und zeigte uns die verschiedenen Einrichtungen, in denen wir ein Praktikum machen konnten.

Nachdem wir in den ersten Wochen einen Sprachkurs besucht und uns einigermaßen mit der lettischen Sprache vertraut gemacht hatten, schauten wir uns verschiedene pädagogische Einrichtungen an. Das machte uns die Entscheidung für einen Praktikumsplatz natürlich leichter. Nach ein paar Tagen stand für mich fest, das ich mein Praktikum in der Vorschulgruppe „Mazais Pratnieks“ (die kleinen Zauberer), der Riga Skolenu Pils absolvieren wollte.

Die Vorschulgruppe Die kleinen Zauberer“

Die Riga Skolenu Pils ist vergleichbar mit einer Volkshochschule für Kinder, die Kindern und Jugendlichen eine riesige Auswahl an Kursen und Angeboten in den verschiedensten Bereichen zur Verfügung stellt. Diese Art von Einrichtung ist ein wesentliches Element des Lettischen Schulsystems, welches mit der Vorschulausbildung (Pirmskolas izglītība ) im Alter von 3 bis 7 Jahren beginnt. Lettische Kinder erhalten in zwei Gruppen eine jeweils altersgemäße Förderung: Einmal von 3 bis 5 und einmal von 6 bis 7 Jahren.

Vorschulgruppen wie  Mazais Pratnieks“  lassen sich vom Konzept her nicht direkt mit deutschen Kindergärten oder Vorschulen vergleichen. Ab dem sechsten Lebensjahr beginnt für die Kinder beispielsweise ein sehr intensives Vorbereitungsprogramm auf die Grundschule. Hierbei bekommen die Kinder bereits Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen.

Unterschiede im Bildungssystem

Die Kinder besuchen die Vorschulgruppe täglich, wobei nur der Besuch für die ältere Gruppe – als zielgerichtete Vorbereitung auf die Anforderungen der Grundschule – Pflicht ist. Die Kinder der jüngeren Gruppe besuchen die Vorschulgruppe anstatt eines Kindergartens, wobei es in Lettland auch Kindertagesstätten gibt, die den unsrigen ähneln. Der Tagesablauf der Kinder ist nach dem Prinzip eines Stundenplans strukturiert. Die Kinder erhalten Unterricht in den Bereichen Musik, Folklore, Lettisch, Englisch, Mathematik, Schreiben, kreative Spiele, Märchen, Theater, Bewegungsunterricht, Sport und Kochen.

Dabei hatte ich neben sehr vielen positiven Aspekten – wie etwa der Vielfalt der Bildungsmöglichkeiten – doch den Eindruck, dass die Kinder wenig Raum zum freien Spiel hatten. Dies merkte ich insbesondere daran, dass die Kinder während ihrer kurzen Freispielphasen viele Beschäftigungsimpulse der Pädagog*innen benötigten und oft nicht in der Lage waren, ihre eigene Kreativität und Fantasie frei zu entfalten. Dabei bildet das Freispiel meiner Ansicht nach eine wichtige Basis für die ganzheitliche Entwicklung von Kindern.

Ausbildung pädagogischer Fachkräfte

Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt in der Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte, welche in Lettland an den Hochschulen stattfindet. Eine Ausbildung für Erzieher*innen wie in Deutschland gibt es in Lettland nicht. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die Pädagog*innen nicht nur ein pädagogisches Studium absolvieren, sondern zumeist auch eine fachspezifische wissenschaftliche Qualifikation besitzen.

Die hohe Qualifikation der Pädagog*innen wirkte sich natürlich auf die Qualität des Unterrichtes aus. Die Beziehung zwischen Eltern und Pädagog*innen war sehr vertrauensvoll. Die Pädagog*innen genießen in Lettland einen hohen Stellenwert bei den Eltern, die sie als wahre Expert*innen schätzen.

Meine Aufgaben und das kooperative Spielprojekt

Während meines Praktikums begleitete ich die Kinder bei ihren täglichen Kursen. Dabei war ich schwerpunktmäßig im Sportunterricht sowie im Fach Lettisch und bei den Märchenstunden dabei. Besonders beeindruckend fand ich hierbei die vielen Ausflüge, die die Kinder machten. Eine weitere Aufgabe während meines Praktikums bestand darin, mit den Kindern ein eigenes Projekt durchzuführen. Das fand ich zunächst sehr spannend – doch machte sich die sprachliche Barriere ziemlich bemerkbar. Deshalb entschied ich mich dafür, mit den Kindern während des Sportunterrichtes Spiele durchzuführen, bei denen es nicht primär um einen Sieger ging.

Die Idee dazu entstand aus meiner Beobachtung, dass die Kinder im Sportunterricht viele Wettkampfspiele machten. Sicher sorgen Wettkämpfe für viel Enthusiasmus bei den Kindern. Während meines Praktikums fiel mir jedoch auch vor allem ein Kind auf: Es litt offensichtlich sehr unter der Konkurrenz, da er selten gewann. So ist es sicher überall auf der Welt. Aber ich wollte dennoch ein alternatives Konzept anbieten: kooperative Spiele!

Mit der Zeit konnte ich feststellen, dass die Kinder stärker miteinander agierten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Darüber hinaus bemerkte ich, dass sich der Zusammenhalt in der Kindergruppe verstärkte. Ob dies an meinem Angebot lag – wer weiß? Ich hoffe es natürlich. Besonders freute mich jedenfalls, dass das Kind, das den Impuls für das Projekt gegeben hatte, mehr Freude am Sportunterricht und im Umgang mit den anderen Kindern zeigte.

Fazit: Wertvolle Erfahrung

Meine Zeit in Lettland – aber auch die Zeit in der Europaklasse – war für mich eine spannende und zugleich wertvolle Erfahrung. Auf der einen Seite war der Kontakt zu den Mitschüler*innen und den Lehrkräften intensiver, als das in einer regulären Ausbildungsklasse der Fall gewesen wäre, da uns alle die gemeinsame Erfahrung eines Auslandspraktikums verband. Aber auch schon während der Vorbereitungsphase in Deutschland wuchsen wir enger zusammen. Das lag meines Erachtens nicht zuletzt daran, dass wir innerhalb der anderen Ausbildungsklassen einen ganz besonderen Status einnahmen.

Über Johanna Wehber

Vor neun Jahren – am 1. Februar 2007 – hat Johanna Wehber ihre Reise nach Riga begonnen. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie im Krippen- und Elementarbereich. Dann holte sie auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nach und studiert heute vergleichende Kultur und Religionswissenschaften an der Universität Marburg (Bachelor). Daneben absolviert sie ein Praktikum in der Bildungsgruppe epa des Marburger Weltladens.

Europaklasse der Fachschule für Sozialpädagogik Fröbelseminar Hamburg

Unter dem Motto interkulturelles Lernen im Ausland haben die Schüler*innen der Fachschule für Sozialpädagogik „Fröbelseminar“ die Möglichkeit ein viermonatiges Praktikum in einer sozialen Einrichtung in Lettland, Österreich, Schweden, Spanien oder der Türkei zu verbringen. Die Schüler*innen reisen nicht alleine, sondern in einer Gruppe aus dem Klassenverband, die sich durch einen Gruppenfindungsprozesses in Deutschland entwickelt. Vor dem Beginn des Praktikums erhalten die Auszubildenden eine intensive Vorbereitung auf das Praktikum. Aber auch während des Auslandsaufenthaltes haben die Gruppen ein*e Betreuer*in. Darüber hinaus erhalten die Schüler*innen vor Beginn des Praktikums Sprachunterricht. Das Praktikum finanziert sich aus Mitteln des europäischen Förderprogramms Leornado da Vinci.