Die FaireKITA: Globale Gerechtigkeit leben

Vor fünf Jahren entstand das Projekt FaireKITA im Rahmen des Netzwerks Faire Metropole Ruhr. Damals wünschten sich drei KITAs Hilfe, Unterstützung und Bildungsmaterialien für Globales Lernen im Elementarbereich. Das Netzwerk griff dies auf und entwickelte mit diesen drei Pilot-Einrichtungen einen Plan. Wie der genau aussieht, berichtet Judith Altenbockum, pädagogische Fachkraft bei FaireKITA.

Was ist FaireKITA?

FaireKITA ist ein Projekt, das Kindertagesstätten dabei unterstützt, Nachhaltigkeit vor Ort zu leben. Wir möchten alle ermutigen, ihr bisheriges Verhalten zu reflektieren und soziale, ökologische und ökonomische Alternativen zu entwickeln. Das Netzwerk Faire Metropole Ruhr – ein Zusammenschluss aus Kirchen, Kommunen und Organisationen ihr Engagement für Fairen Handel im Ruhrgebiet – startete das Projekt vor fünf Jahren.

Damals bezogen sich viele Materialien im Bildungsbereich vor allem auf Schüler*innen. Für KITAs gab es kaum Unterstützung, nur wenige Leitfäden, Materialien oder Weiterbildungen etc. Deshalb haben wir mit drei Pilot-Einrichtungen überlegt: Wie können wir KITAs dabei unterstützen, Globales Lernen im Elementarbereich zu verankern und umzusetzen? Daraus ist das Projekt FaireKITA entstanden, das mittlerweile 100 Kitas FaireKITAs zertifiziert hat.

Welches Ziel verfolgt FaireKITA?

Unser Ziel ist es, Kindern schon früh eine Auseinandersetzung mit Globalem Lernen zu ermöglichen. Sie sollen ihre Handlungsspielräume spielerisch überdenken können und sinnlich erfahren, was globale Gerechtigkeit, Fairer Handel und Nachhaltigkeit im Alltag bedeuten.

Was bieten Sie KITAs an?

Zu unseren Angeboten gehört vor allem die Beratung, entweder telefonisch oder vor Ort. Wir gehen zu Teamsitzungen in die KITAs, zu Konzeptionstagen oder Elternnachmittagen. Außerdem bieten wir Fortbildungen für die Erzieher*innen an. Einmal im Jahr organisieren wir zudem ein Austausch- und Vernetzungstreffen mit KITAs und Organisationen, die im Bereich „Globales Lernen im Elementarbereich und im Fairen Handel“ aktiv sind.

Darüber hinaus unterstützen wir Erzieher*innen dabei, das richtige Bildungsmaterial zu finden. Dabei liegt unser Schwerpunkt natürlich auf Fairem Handel und nachhaltigem Konsum. Aber auch bei angrenzenden Themen wie etwa „Vielfalt in der Kita“ helfen wir weiter. Hier gibt es einen starken Anknüpfungspunkt an KiTA-GLOBAL.de.

Wie entstehen eigentlich die bunten Stoffe, aus denen unsere Kleider sind? Die Elterninitiative der Kita „Villa Kunterbunt“ in Dinslaken erkundet mit den Kindern an Aktionstagen die Welt.

Und schließlich entwickeln wir auch eigene Materialien, unterhalten ein Material-Archiv und verleihen Bildungsmaterialien an KITAs. Größere Sachen müssen die KITAs abholen (wir sitzen in der Werkstatt Globales Lernen im Informationszentrum 3. Welt Dortmund e.V.), doch Bücher und Zeitschriften verschicken wir auch. Außerdem haben wir eine Liste erstellt, wo es im Ruhrgebiet welche Materialien zu unserem Themenspektrum gibt – zum Beispiel in kirchlichen Einrichtungen oder Eine-Welt-Zentren.

Eine Besonderheit ist, dass wir die Dokumentationen, die die FairenKITAs von ihrer Bildungsarbeit machen, sammeln und archivieren. So können wir Erzieher*innen, die sich bei uns melden, weil sie ein ähnliches Projekt in ihrer Kita umsetzen möchten, die Erfahrungen und Ideen ihrer Kolleg*innen weitergeben.

Was können Kitas tun, um eine FaireKITA zu werden?

Seit letztem Herbst können sich KiTas bundesweit bewerben. Aktuell arbeiten wir verstärkt im Saarland und Baden-Wüttemberg, um vor Ort bestehende Strukturen kennenzulernen und Fortbildungsangebote für Erzieher*innen und Multiplikator*innen anzubieten.

Die Zertifizierung hat insgesamt fünf Kriterien. Ihnen liegen Fragen zugrunde wie: Wie können Erzieher*innen Nachhaltigkeit tatsächlich vorleben? Und wie könnten wir das überprüfen? Deshalb gibt es – auch wenn wir mit einer sehr starken Vertrauensbasis arbeiten – die folgenden Anforderungen, die FaireKITAs auszeichnen:

  • Einen gemeinsamen Beschluss formulieren: Zunächst muss das gesamte Team einen Entschluss fassen, ihn schriftlich formulieren und von allen unterzeichnen lassen. Das hört sich vielleicht ein bisschen formal an – es hat sich aber gezeigt, dass dies von großer Bedeutung ist und nicht selten länger braucht, als die anderen Punkte. Denn es reicht nicht, wenn nur eine Person – auch nicht, wenn sie in einer Leitungsposition sitzt – die Zertifizierung als FaireKITA möchte. Alle müssen mitziehen, sonst wird das nicht wirklich in der Kita gelebt. Das erfordert die Auseinandersetzung im Team zu Fragen wie: Was bedeutet Nachhaltigkeit für uns und wohin wollen wir gehen?
  • Ein faires Team bilden: Ebenso wichtig ist es, die Eltern mit einzubeziehen. Deshalb müssen FaireKITAs ein sogenanntes faires Team bilden. Es enthält mindestens zwei Personen, nämlich mindestens eine Mutter oder einen Vater und eine*n Mitarbeiter*in der Kita. Diese müssen gemeinsam eine Bestandsaufnahme machen: Wo steht die Kita gerade und wo will sie hin? Diese Überlegungen muss das faire Team dokumentieren. Dieser Punkt ist besonders wichtig, weil es durch Veränderungen in der Kita zu Konflikten mit den Eltern kommen kann. Es reicht zum Beispiel nicht, wenn die Kinder sich überlegen, dass sie in Zukunft mit dem Fahrrad zur Kita kommen, anstatt mit dem Auto – das muss sich auch mit dem morgendlichen Zeitplan der Eltern vereinbaren lassen. Deshalb ist es wichtig, dass mindestens ein Elternteil genau weiß, worum es geht und Auskunft geben kann.
  • Faire und nachhaltige Produkte nutzen: Der dritte Punkt ist, dass eine FaireKITA fair gehandelte und nachhaltig produzierte Produkte nutzen sollte. Hier haben wir bewusst eine geringe Schwelle von zwei Produkten eingeführt, damit auch Kitas mit nicht so flexiblen Strukturen eine FaireKITA werden können: Ein Produkt auf Ebene der Kinder – etwa Früchte, Tee oder Schokolade aus fairem Handel – und ein Produkt bei den Erwachsenen, zum Beispiel fair gehandelter Kaffee.
  • Bildungsarbeit in der Kita: Das Herz unseres Projektes ist die Bildungsarbeit – also dass die Erzieher*innen das Thema Fairer Handel und globale Gerechtigkeit mit den Kindern aufgreifen. Daran knüpfen sich in der Regel weitere Themen der Nachhaltigkeit an. Ein beliebtes Thema ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel „Kleidung“. Jedes Kind hat Kleidung und braucht auch immer wieder neue. Da ist es spannend und lehrreich mit den Kindern zu schauen: Welche Produktionsschritte gibt es? Wie lange dauert es, bis ein Kleidungsstück entstanden ist? Wie geht es den Menschen, die auf den Baumwollfeldern oder in den Nähfabriken arbeiten? Was ist mit Kinderarbeit und Kinderrechten? Und wie gehe ich mit meiner Kleidung um? Alternativen können die Kinder und Eltern konkret ausprobieren, indem eine Kita zum Beispiel eine Kleidertauschparty organisiert oder darüber aufklärt, auf welche Label man beim Kleiderkauf achten kann.
  • Öffentlichkeitsarbeit im Kita-Umfeld: Der letzte Punkt umfasst die Öffentlichkeitsarbeit: Eine FaireKITA muss mindestens zwei Aktivitäten dokumentieren. Zum Beispiel eine Pressemitteilung veröffentlichen oder einen Elternbrief verschicken, eine Stellwand für die Eltern einrichten oder ein Nachbarschaftsfest. Das ist wichtig, weil wir uns natürlich erhoffen, dass über das Projekt nicht nur die Kinder das Thema „Fairer Handel“ in die Familien tragen, sondern die Aktivitäten der Kita auch in ihre Umgebung ausstrahlen und Menschen zum Nachdenken anregt.
Gemeinsam fair frühstücken. Eine Aktion der FairenKITA im DRK-Familienzentrum „Zum Regenbogenland“ in Gronau.

Wenn eine Kita alle fünf Kriterien erfüllt, kann sie sich per Formular bei uns bewerben. Wir gehen die Unterlagen und Dokumentationen durch. Wir schauen, ob es irgendwo noch hakt und was wir gemeinsam tun könnten, um das zu verbessern. Und wenn alles passt, dann erhält die Kita in einem feierlichen Akt eine Urkunde und ein Plexiglasschild für die Eingangstür von uns.

Die Kitas feiern das ganz unterschiedlich. Die einen machen dies zum Teil ihrer Morgenrunde oder Gottesdienstes. Andere bauen die Auszeichnung in ein Jubiläumsfest ein. Bei einem kirchlichen Träger hatten wir bereits mehrerer solcher gemeinsamen Auszeichnungen mit dem Bischof und Politiker*innen, bei der zwischen 11 und 24 Kitas gemeinsam die Auszeichnung erhielten. Ansonsten waren Bürgermeister*innen bei individuellen Auszeichnungen vor Ort. Nach 3 Jahren muss sich eine Kita erneut zertifizieren.

Warum machen Kitas bei ihrem Projekt mit?

Die Motive sind sehr unterschiedlich. Viele Einrichtungen, vor allem kirchliche, sehen es als ihren Bildungsauftrag, Gottes Schöpfung zu bewahren und das weiterzugeben. Bei den meisten Kitas ist es mindestens eine Person, die sehr idealistisch an das Projekt herangeht und die Kolleg*innen und Eltern begeistert und mitzieht. Daneben gibt es einige Kitas, die ohnehin schon länger in diesem Themenbereich sehr aktiv sind und sich nun auch noch auszeichnen lassen.

Was sind Ihre schönsten und inspirierendsten Praxisbeispiele?

Da gibt es Hunderte. Es ist unglaublich, mit wie viel Kreativität und Ideenreichtum die Erzieher*innen an die Umsetzung der fünf Punkte herangehen. Besonders im Gedächtnis bleibt mir jedoch immer, wenn Kinder etwas selbst herstellen: Einen Ball aus Stoffresten oder Puppenkleidung.

Toll ist auch die Idee der Kita in Lünen: Sie hat einen stromfreien Tag pro Monat. Die Erzieher*innen nehmen das sehr ernst – auch im Winter wird dann das Essen auf offenem Feuer gegrillt und Licht durch Kerzen erzeugt. Und die Kinder achten dann immer sehr genau darauf, dass selbst die Leitung nicht an den Computer geht. Das macht den Kindern einen riesen Spaß.

Eine besonders einfache und gute Idee, die wir mittlerweile in vielen Einrichtungen sehen, sind Tauschregale. Es ist nützlich, verbindet und bringt die Kinder und Eltern ganz nebenbei dazu, sich zu fragen: Wie kaufe ich anders ein? Wie wollen wir miteinander umgehen ? Und wie können wir uns gegenseitig unterstützen?

Spielerisch die Welt erkunden? Im DRK-Familienzentrum „Zum Regenbogenland“ in Gronau ist eine Erzieherin mit Kindern dabei, die Landkarte zu erforschen.

Wo gibt es Schwierigkeiten und Herausforderungen?

Die Strukturen sind sicherlich für viele eine große Herausforderung. Zum Beispiel, wenn eine Kita einen Vertrag mit einem Catering hat oder die Hygienevorschriften des Landes es nicht erlauben, dass Kinder Gerichte aus verschiedenen Ländern selbst kochen oder backen. Dabei ist das für Kinder so wichtig.

Das können manchmal aber auch Kleinigkeiten sein: Eine Kita wollte zum Beispiel mal Wasserfilter kaufen. Aber das ging nicht, weil sie verpflichtet waren, Wasser in PET-Flaschen zu bestellen. Das kann zum Teil recht frustrierend sein. Wenn solche Schwierigkeiten auftauchen, dann sind wir gerne bereit mit den Kitas zu schauen, wo Handlungsspielräume sind und wie wir diese vergrößern könnten.

Eine Herausforderung für uns als Projekt ist es, dass Globales Lernen – anders als BNE – noch nicht im Erzieher*innen-Kurrikulum verankert ist. Dadurch haben sie schnell den Eindruck: „Oh je, da kommt jetzt noch was oben drauf“ – auch wenn sie das im Rahmen der BNE teilweise oft auch schon machen. Wir arbeiten deshalb auch mit Berufsschulen zusammen und versuchen Wege zu finden, wie Globales Lernen zu einem gängigen Teil des Elementarbereichs werden kann.

Darüber hinaus ist es immer auch eine Herausforderung, die Inhalte und Materialien für den Elementarbereich so aufzuarbeiten, dass sie keine Stereotype bedienen und verfestigen, sondern eine kritische und sensible Auseinandersetzung damit geschieht, welche Bilder gezeigt und wessen Geschichten erzählt werden.

Was ist Ihre Vision? Wo soll es mit FaireKITA hingehen?

Unser Wunsch ist, dass sich das Projekt verselbständigt. Also dass immer mehr Kitas das für sich als Thema entdecken und etwas beitragen. Etwa, wenn es darum geht, Bildungsmaterialien zu erstellen und Erfahrungen zu teilen. Und natürlich freuen wir uns, wenn nicht nur die Kinder die Themen aus den FairenKITAS in ihre Familien hineintragen, sondern auch die Träger der Einrichtungen beginnen, sich Gedanken zu machen.

Wir beobachten, dass das überall dort passiert, wo FaireKITAS schon längere Zeit aktiv sind. Manche Kitas haben dies sogar schon in ihr Leitbild aufgenommen. Es gibt Träger, die ihre Mitarbeiter*innen zu entsprechenden Workshops und Weiterbildungen schicken und etwa Fairen Handel als Bedingung für die Ausschreibung ihres Caterings nennen. Manche untersuchen ihre eigenen Strukturen und fragen sich: „Wie behandeln wir unsere eigenen Mitarbeiter*innen eigentlich? Und wieso bekommt eine Putzkraft zum Beispiel so viel weniger als ein*e Erzieher*in?“

Solche Veränderungen geschehen natürlich nicht über Nacht. Aber die Aktivitäten einer FairenKITA bewirken wirklich etwas. Wir sehen, dass immer mehr Kitas aufspringen und ihre Arbeit immer intensiver und tiefgreifender wird. Das freut uns sehr.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über FaireKITA

Das Projekt FaireKITA hat das Ziel, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen langfristig im Elementarbereich zu verankern. Am Beispiel des Themas Fairer Handel sollen FaireKITAs Kinder, Erzieher*innen und auch die Familien für einen nachhaltigen, fairen Konsum sensibilisieren. Das Projekt unterstützt Tageseinrichtungen für Kinder konkret dabei, Bildung für nachhaltige Entwicklung Schritt für Schritt in den Einrichtungsalltag zu implementieren. Das Projekt wird gefördert durch die Engagement Global gGmbH mit ihrer Servicestelle Kommunen in der einen Welt im Auftrag des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Fotos: FaireKITAS