Kinder wollen ein realistisches Bild der Welt und von sich selbst gewinnen. Und genau das können sie durch die Bindung an Personen und konkrete Situationen bekommen. Ein Interview mit Prof. Dr. Rainer Dollase, Universitätsprofessor für Elementarpädagogik an der Universität Bielefeld.
Sind Kinder von Geburt an weltoffen?
Absolut. Ein Kind liebt zum Beispiel die weißhäutige Mutter ebenso wie den schwarzhäutigen Vater. Die evolutionär erworbene Weltoffenheit sprengt alle historisch, geographisch und politisch errichteten Schranken. Kinder wollen ein realistisches Bild der Welt und von sich selbst gewinnen und es in ihrem Gehirn speichern. Damit können Sie dann wirkungsvoll handeln und planen – sie lernen die Welt und sich selber verstehen und sie lernen, wie man diese Welt verändern kann. Kinder lernen von Geburt an – »das Gehirn lernt immer«, sagt die Neuropsychologie – sie wollen wissen, wie die Welt und wie sie selbst sind.
Wie können wir als Erwachsene diesen Lernprozess begleiten?
Kinder lernen durch Bindung an Personen mehr als von anderen Informationsquellen. Alle Bezugspersonen müssen sich dieser besonderen Verantwortung bewusst werden. Alles trägt Verantwortung für die Welt, die sich Kinder, um handlungsfähig zu werden, aneignen wollen.
Die Erwachsenen müssen sich hüten, ihre eigenen Vorurteile als Naturgesetze zu betrachten. Die in Staaten, ethnische Gruppen, in Klassen und Schichten eingeteilte Gesellschaft kann sich gehörig ändern. Weit entfernte Prozesse gehen uns hautnah etwas an. Wer in dieser Konkurrenz um die richtige Weltdeutung Einfluss haben möchte, tut gut daran, eine persönliche Beziehung zum Kind einzugehen, sein Vertrauen zu gewinnen und seine pädagogischen Ziele einsichtig und beweiskräftig zu machen.
Welche Rolle spielt dann die Projektarbeit im Elementarbereich?
Eine sehr wichtige. Denn Kinder lernen nicht nur von konkreten Personen, sondern auch von konkreten Situationen. Deswegen sollen Projekte konkret, praxisnah und kindgerecht angelegt sein. Noch wichtiger ist, dass kein pädagogischer Prozess mit dem Ende eines Projektes oder eines Programms zu Ende ist. Jede Botschaft muss tagtäglich gelebt werden – die Veränderung der Realität ist die beste Pädagogik.
Die Welt unserer Kinder wird sich so tiefgreifend ändern, so dass wir sie in unserer alltäglichen Bildungsarbeit auf den nachhaltigen Umgang damit unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gerechtigkeitsprinzipien vorbereiten müssen.
Ist die Situation unserer Welt nicht zu komplex für Kinder im Elementarbereich?
Kinder, die größer werden, verzweifeln manchmal wohl an den Ungerechtigkeiten und Widersprüchen dieser Welt. Aber gerade die Eröffnung von Handlungsperspektiven in der Bildungsarbeit ist die beste Medizin gegen diese Resignation und Abstumpfung, die dem Protest und der Verzweiflung folgen.
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