Machtkritische Fragen in der Kita – Materialien

Machtkritische Fragen in der Kita

Eine Kita soll alle Kinder bestmöglich bei ihrer Entfaltung unterstützen. Theoretisch. Praktisch haben wir alle Vorurteile auf die eine oder andere Art, weil wir alle in einer Gesellschaft groß geworden sind, in der es Ungleichheit und strukturelle Abwertungen gibt. Das gilt auch für Pädagog:innen in Kitas. Wichtig ist es daher, machtkritische Fragen in der Kita zu stellen.

Warum machtkritische Fragen in der Kita wichtig sind

Wir alle leben in einer Gesellschaft, in der es Vorurteile und Glaubenssätze gibt, die die einen bevorzugen und die anderen benachteiligen. Weil wir in diesem Umfeld aufgewachsen sind, fällt uns dies nicht immer sofort auf. Wir sind überzeugt, keine rassistischen, sexistischen oder sonstigen Vorurteile zu haben. Doch leider laufen viele dieser Muster unbewusst ab. Vor allem, wer von den Vorurteilen nicht betroffen ist, tut sich schwer damit, die damit einhergehenden Benachteiligungen zu erkennen.

Deshalb hat sich ein Team der Organisation „Globales Lernen Harburg“ machtkritische Fragen in der Kita gestellt. Das Wort „Machtkritisch“ bedeutet, dass sich Menschen kritisch mit gesellschaftlichen, sozialen und institutionellen Machtverhältnisse auseinandersetzen und diese hinterfragen. Diese Machtverhältnisse prägen immer auch die eigenen Gedanken, Haltungen und Verhaltensweisen. Deshalb geht es auch darum, von dem einen auf das andere zu schließen – also sich selbst kritisch zu betrachten und zu hinterfragen: Wo wiederhole ich (vermutlich unwissentlich) Muster, die sich mir durch die ungerechten Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft eingeprägt haben?

Welche machtkritischen Themenfelder sind für die Kita wichtig?

Drei Jahre lang hat das Team von „Globales Lernen Harburg“ geforscht und Wissen zusammen getragen zu dem Thema „Machtkritische Fragen in der Kita“. Das Ergebnis ist eine ganze Reihe von Veröffentlichungen und Materalien, die sich mit verschiedenen machtkritischen Themenfeldern auseinandersetzen, die für die Pädagog:innen in Kitas wichtig sind. Hier ein Überblick:

1. Adultismus in der Kita

Adultismus bedeutet, dass Kinder und Jugendliche allein aufgrund ihres geringeren Alters abgewertet, diskriminiert und benachteiligt werden. Meist geschieht dies durch das Machtgefälle, das es zwischen Erwachsenen und jüngeren Menschen gibt. „Wir leben in einer Welt, in der Adultismus weitestgehend unerkannt sein Unwesen treibt und das schon seit Jahrhunderten und in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“, schreibt die Autorin des Materials zu diesem Thema ManuEla Ritz.

Denn dieses Machtungleichgewicht zwischen jungen und älteren Menschen empfinden die allermeisten Menschen in unserer Kultur als derart „normal“, dass es uns sehr schwer fällt, diese Form der Diskriminierung überhaupt wahrzunehmen. Vielleicht fragen auch Sie sich jetzt empört: „Wir Erwachsenen wollen Kinder doch umsorgen, beschützen und pflegen – wir diskriminieren sie doch nicht!?!“ Doch ein Blick in das unten verlinkte Material zeigt: Mit einer guten Portion Neugier, Offenheit und kritischer Selbstdistanz lassen sich doch so manche Verhaltensweisen ausmachen, an denen es doch tatsächlich lohnt zu arbeiten. Ein paar Beispiele aus dem Material:

  • Sollten Pädagog:innen vor allem ausgelassen mit Kindern spielen und sie zum Lachen bringen können – oder ist es eher ihre Aufgabe, den Kindern Regeln und Normen zu vermitteln?
  • Welche Privilegien haben Sie, weil sie älter als 18 Jahre alt sind?
  • Was dürfen Sie in der Kita entscheiden, was die Kinder nicht entscheiden dürfen? Was davon könnte künftig durchaus im Entscheidungsspielraum der Kinder liegen?

2. Klassismus in der Kita

Klassismus bedeutet, dass Menschen aus sogenannten „niedrigeren“ Klassen oder Gesellschaftsschichten abgewertet, ausgegrenzt oder benachteiligt werden. Das können zum Beispiel Arbeiter*innen, Erwerbslose oder von Armut betroffene Menschen sein. Das betrifft zum einen, aus welcher Klasse sie von Geburt an kommen. Zum anderen aber auch, zu welcher Klasse sie im Laufe ihres Lebens gehören. Zum Beispiel könnte sich ein Mensch im Laufe seines Lebens aus einer niedrigeren Klasse hoch arbeiten. Es könnte aber auch passieren, dass ein Mensch aufgrund von Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen einen „sozialen Abstieg“ erfährt.

Tanja Abou hat ein Material verfasst, das sich mit dem Thema „Klassismus in der Kita“ beschäftigt. Da ist vor allem natürlich der Blick auf die Eltern: welcher Klasse sie angehören wirkt sich oft darauf aus, wie ihre Kinder in der Kita (und später in der Schule) behandelt werden. Diverse Studien zeigen, dass Kinder, deren Eltern studiert haben, mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit selbst studieren. Das deutsche Bildungssystem fällt nicht gerade durch eine große Chancengleichheit auf. Und das beginnt ganz bestimmt bereits in der Kita. Vermutlich meist unbewusst und unwillentlich. Deshalb lohnt es sich, sich mit Hilfe dieses Materials mit dem Thema zu beschäftigen. Einige Fragen, die wir aus dem Material gezogen haben, sind zum Beispiel:

  • Welche Klassenhintergründe habe die Kinder und Eltern in Ihrer Kita?
  • Woran können die Kinder die Klassenunterschiede erkennen (zum Beispiel, wenn ein Kind im Morgenkreis von weiten Reisen erzählt und ein andere Kind so etwas gar nicht kennt. Oder dass die Kita erwartet, dass Kinder Bio-Snacks mitbringen, die sich manche aber vielleicht nicht leisten können)?
  • Welche Klassenhintergründe gibt es in Ihrem Kita-Team? Wäre ein Austausch über Erfahrungen von klassistischer Diskriminierung möglich?

3. Ableismus in der Kita

Das komplizierte Wort „Ableismus“ leitet sich zum einen von dem englischen Wort „able“ ab, was so viel wie »fähig, kompetent, tüchtig oder begabt« bedeutet. Die Endung »ism« kommt ebenfalls aus dem Englischen und soll ein gesellschaftliches Machtverhältnis andeuten. Ähnlich wie das im Deutschen gängig „ismus“ in „Rassismus“ oder „Sexismus“. Gemeint ist mit dem Begriff, dass Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen abgewertet, diskriminert und benachteiligt werden.

Ira Schumann hat dazu ein Material geschrieben, dass Pädagog:innen einen Einstieg in das Thema „Ableismus in der Kita“ gibt. Zum Beispiel könnten sich die Mitarbeitenden einer Kita folgende Fragen stellen:

  • Welche Normen gibt es – zum Beispiel in Bezug auf das Bewegungstempo, die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit oder das Aussehen?
  • Der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen geschieht in den allermeisten Fällen nicht aus böser Absicht, sondern weil ihre besonderen Bedürfnisse nicht mit gedacht werden. Welche Aktivitäten in Ihrer Kita könnten dies sein?
  • Welche Privilegien haben Sie bzw. Kinder ohne Behinderungen gegen über von Ableismus betroffenen Menschen?

4. Antisemitismus in der Kita

Wir Deutschen haben zum Antisemitismus aufgrund unserer Geschichte natürlich eine besondere Verantwortung. Antisemitismus meint nicht nur, dass es Vorurteile, Anwertungen und Diskriminierung von Juden und Jüdinnen gibt (bzw. allen, die als solche betrachtet werden). Antisemitismus konstruiert „die Juden“ auch als kollektives Feindbild, schreibt ihnen pauschal negative Eigenschaften zu und macht sie für gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Probleme verantwortlich.

Das Material von Dr. Miriam Burzlaff ist besonders ausführlich. Auf insgesamt 24 Seiten setzt sie sich mit der Frage auseinander, was Antisemitismus genau ist und wie Kitas mit dem Thema umgehen können. Außerdem liefert sie zwei Fallbeispiele, die das Problem und den Umgang damit noch einmal genauer und konkreter deutlich machen. Fragen, die dabei unter anderem auftauchen sind:

  • Werden Kinder in ihrer jüdischen Identität gestärkt?
  • Welche unbewussten Ausschlusskriterien für Kinder aus jüdischen Familien gibt es (zum Beispiel bei der Ernährung oder besondere Aktivitäten am Freitag Nachmittag etc.)?
  • Welche Feiertage und Bräuche sind in der Kita bekannt und fließen in den Kita-Alltag mit ein?

5. Rassismus in der Kita

Der Rassismus hat eine lange, sehr unrühmliche Geschichte und hält sich leider hartnäckig. Oftmals unbewusst. Rassistische Muster werden bis heute genutzt, um Ausbeutung, Vertreibung und Vernichtung von Millionen von nicht-weißen Menschen zu rechtfertigen. „Bis heute wirkt Rassismus in weiß dominierten Gesellschaften durch die konkrete, bewusste und unbewusste Ungleichbehandlung von nichtweißen Menschen auf zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher und institutionalisierter Ebene“, schreibt Jasmine Rouamba zu dem von ihr verfassten Material über das Thema „Rassismus in der Kita“.

Daher ist es so wichtig, dass bereits in der Kita etwas gegen Rassimus unternommen wird. Ihn gibt es unter den Eltern, unter den Kita-Mitarbeitenden und sogar auch schon unter den Kindern. Das Material von Jasmine Rouamba zeigt, wie sich Rassismus im Sprachgebrauch niederschlägt, wie er die Interaktion zwischen Kindern beeinflussen kann und wie er sich in Tagesabläufen, Ritualen und Festen wiederspiegelt. Fragen, die dabei auftauchen können, sind zum Beispiel:

  • Kennen wir uns in Bezug auf rassistische Begriffe und eines rassistische Sprache aus? Verwenden wir womöglich unbewusst rassistische Muster und Stereotype?
  • Werden Menschen nicht-weißer Hautfarbe in unserer Kita gleichwertige repräsentiert? Gibt es zum Beispiel Kinderbücher, in denen sie eine (nicht stereotype) Hauptrolle spielen? Welche Puppen haben wir? Welche Stifte mit „Hautfarbe“?
  • Merken wir, wenn es rassistische Interaktionen zwischen Kindern gibt? Wissen wir, wie wir damit umgehen können?

6. Sexismus in der Kita

Das letzte Material, das wir hier vorstellen wollen, stammt von Stephanie Nordt. Sie setzt sich mit Sexismus in der Kita auseinander. Damit wendet sie sich gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer Geschlechtsidentität oder ihrer sexuellen Orientierung. Dabei erklärt sie zunächst Begriffe wie „Heteronormativität“, „Sexismus“ sowie „Homo- und Transfeindlichkeit“. Später erklärt sie, wo und wie in einer Kita sexistische und heteronormative Barrieren auftauchen – und wie sie sich abbauen lassen. Fragen, die wir aus dem Material heraus gelesen haben, sind zum Beispiel:

  • Wie sehr verweisen unsere Spielzeuge und Materialien auf Geschlechterstereotype – sind also zum Beispiel rosa für Mädchen und blau für Jungs? Wie gehen wir mit Kindern um, die sich nicht daran halten? Wie gehen die Kinder mit ihnen um?
  • Was bedeutet der Begriff „sexuelle Vielfalt“* für uns? Was verstehen die Eltern der Kinder darunter? Können wir populistische und diffamierende Deutungen auflösen (wie etwa „Frühsexualisierung“)?
  • Wie könnten wir solche Themen mit den Kindern ansprechen und so den durch die Gesellschaft vermittelten Geschlechterstereotypen entgegen wirken?

*P.S.: Stephanie Nordt erklärt den Begriff „sexuelle Vielfalt“ folgendermaßen: Er „steht für die Vielfalt von Lebensformen, sexuellen Orientierungen, Ge- schlechtsidentitäten und Geschlechterinszenierungen, er bezieht sich also nicht auf Sexualität oder Sexualpraktiken, sondern auf Identität und Lebensformen.“

Fazit: Machtkritische Fragen in der Kita

Machtkritische Fragen in der Kita zu stellen ist wichtig und hilft, langfristig Diskriminierung in unserer Gesellschaft zu reduzieren. Damit bereiten Pädagog:innen in Kitas Kinder nicht nur auf ein gewaltfreies und tolerantes Leben vor. Sie stärken auch die Demokratie. Wie wichtig das ist, können Sie unter anderem auch in einem Interview mit Manja Hofmann erfahren. Sie leitet den musischen Kindergarten Pampelmuse in Chemnitz und hat dort bereits sehr viele machtkritische Fragen gestellt. Das Ergebnis: Die Kinder lernen nicht nur, Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und Demokratie zu leben. Auch die Eltern und die Mitarbeitenden der Kita lernen täglich dazu und wachsen so über sich hinaus. Auf diese Weise ist im musischen Kindergarten Pampelmuse eine ganz besondere Gemeinschaft entstanden, die keiner der Beteiligten mehr missen möchte.