Interview: Heike Klumbies, Kita Fabidu in der Nordstadt von Dortmund

Globales Lernen: Vom Hochhaus in die weite Welt

Die Kita in der Bornstraße in Dortmund liegt in einem Hochhaus. Drum herum gibt es … Großstadt. Dennoch setzen die Erziehenden das Thema »Globales Lernen« großartig um – mit vielen niedrigschwelligen Angeboten, die die Kinder aus dem Hochhaus in die weite Welt hinaustragen.

Die Kita in der Bornstraße gehört zu dem Dortmunder Träger Fabidu und liegt in der Nordstadt. Zwei Gruppen mit je 50 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren gibt es dort. Das Besondere: Die Kita hat kein eigenes Außengelände. Selbst der Turnraum befindet sich in einem ehemaligen Ladenlokal ein paar Straßen weiter. Doch es sind genau diese äußeren Bedingungen – zum Beispiel die Verschmutzung der Spielplätze –, die das Kita-Team dazu gebracht hat, sich schon früh für die Umweltbildung bei den Kindern einzusetzen. Wir sprachen mit der Kita-Leiterin Heike Klumbies über ihre Erfahrungen, ihren Alltag und ihre Tipps.

​Wie kam es, dass Sie das Thema »Globales Lernen« so bewusst gestalten?

Heike Klumbies: Themen wie »Globales Lernen«, »Umwelt« und »Klima« waren schon seit 2009 ein großes Anliegen, seit ich hier angefangen habe. Dann hat unser Träger beschlossen, dass sich alle Einrichtungen als FaireKITA zertifizieren lassen sollen. Für uns war das dann eigentlich nur noch ein kleiner Schritt. Aber der Gedanke des fairen Handels, der ist bei uns dadurch noch einmal intensiver zu dem des Umweltschutzes hinzukommen.

​Was macht Ihre Kita anders?

Heike Klumbies: Uns ist es wichtig, dass die Kinder die globalen Zusammenhänge verstehen. Fragen, die bei den Kindern auftauchen, sind zum Beispiel, wo der Kakao oder die Schokolade eigentlich herkommen. Da philosophieren wir mit den Kindern: »Was denkt ihr denn, wo das herkommt?« »Aus dem Supermarkt.« »Ja gut. Aber wie kommen die Sachen denn in den Supermarkt? Wächst die Schokolade auf Bäumen?« Und dann machen wir dazu ein Projekt: Wie weit müssen die Kakaobohnen reisen? Wer baut sie an? Dabei nutzen wir auch Fotos und Filmmaterial.

So sehen die Kinder zum Beispiel, dass im Kakao-Anbau häufig auch Kinderarbeit vorkommt. Dann besprechen wir mit den Kindern, ob das fair oder unfair ist. Und wir haben einmal nachgespielt, wie anstrengend das ist: Im Flur haben wir dazu einen Kakaobaum aufgebaut. Die Kinder haben »Wasser« (das war Sandsäcke) von unten hier herauf getragen und den Baum damit gegossen. Da zeigte sich schnell, wie anstrengend diese Arbeit ist. Danach haben wir geschaut, was diese Menschen dafür bekommen und ob das ein fairer Lohn ist.

Das waren die ersten Schritte. Nach und nach haben wir auch andere Bereiche angeschaut: Wo kommt der Kaffee her? Woher die Bananen? Jetzt gerade widmen wir uns dem Thema »Baumwolle« und damit der Frage, woher unsere T-Shirts und Jeans stammen? Wo wächst die Baumwolle? Wie viel Wasser braucht so eine Pflanze? Und gibt es da auch faire Löhne oder nicht?

Was uns aufgefallen ist: Die Kinder haben schon ein sehr feines Gespür dafür, was gerecht und was ungerecht ist. Das merkt man schon, wenn man einen Apfel aufteilt. Die Kinder schauen ganz genau, ob es dabei fair zugeht. Aber auch, dass andere Kinder arbeiten müssen – sei es, dass sie in Fabriken oder auf Feldern arbeiten – und nicht spielen können, das finden alle Kinder unfair. Da setzt Globales Lernen an.

Globales Lernen in der Kita Fabidu in Dortmund

​Haben diese Erfahrungen auch Sie und Ihr Team verändert?

Heike Klumbies: Auf jeden Fall. Das Thema »Globales Lernen« zieht sich mittlerweile durch die ganze Kita: Wir trinken nur noch fair gehandelten Kaffee. Wir kaufen nur noch fair gehandelte Nikoläuse und Osterhasen. Und schauen auch sonst, dass wir in unserer Beschaffung auf Fair-Trade setzen.

Daneben spielt der Umweltschutz eine wichtige Rolle in unserer Einrichtung. Zum Beispiel haben wir schon lange Strom-Detektive. Einmal im Jahr besprechen wir mit den Vorschulkindern »Was ist eigentlich Energie?«. Und dann gucken die Strom-Detektive überall in der Kita, ob zum Beispiel das Licht aus ist oder wo wir sonst noch Strom sparen könnten. Daneben prüft die Wasser-Polizei, ob das Wasser zu gedreht wird. Solche Konzepte ziehen sich durch die gesamte Kita durch.

Dabei ist es ein Grundgedanke, dass wir nichts verschwenden wollen. Tee, der nicht getrunken wurde, schütten wir nicht weg – wir verwandeln ihn in Fingerfarbe. Grundsätzlich achten wir darauf, das wir den Kindern nicht so viel auf einmal einschenken. Lieber öfter kleinere Portionen, damit nichts übrig bleibt. Und wenn dann doch mal zu viel Wasser im Glas war, sammeln wir es in Eimern und gießen damit unseren Garten.

​Wo haben Sie einen Garten?

Heike Klumbies: Vor einigen Jahren haben wir einen Nutzungsantrag für eine leerstehende Grünfläche in der Nähe unserer Kita gestellt. Es handelte sich um einen Spielplatz, der nicht mehr gepflegt wurde und langsam verfiel. Für dieses Areal haben wir die Nutzungsrechte erhalten und Hochbeete aufgestellt. Die bepflanzen und bewirtschaften wir zusammen mit den Kindern. Wir kämpfen zwar tagtäglich mit der Zerstörung durch Passanten. Aber wir geben nicht auf. Wir suchen uns dann neue Sponsoren und reparieren und bauen wieder auf.

Dort folgen wir dem Konzept der SevenGardens (http://sevengardens.eu). Das bedeutet, dass wir Färberpflanzen heranziehen. Zum Beispiel pflanzen wir dort Rotkohl, Tomaten oder Himbeeren. Für die Kinder ist es wunderschön zu sehen, dass all die Dinge um uns herum einen Ursprung haben. Und dass es Zeit braucht, bis sie heranwachsen. Viele Pflanzen verarbeiten wir hinterher Farben. Manches wird aber auch gleich aufgegessen.

​Selbstgemachte Farben, Hochbeete, Fair-Trade-Projekte – das klingt sehr schön, aber auch aufwendig. Wie machen Sie das?

Heike Klumbies: Die Frage ist immer, wo man seine Prioritäten setzt. Wir sind zwar ein kleines Haus, aber wir haben sogenannte Kompetenz-Teams. Das sind immer mindestens zwei Menschen, die ein Thema intensiver behandeln. Das Prinzip hat sich bewährt, denn auch wenn eine Person mal nicht da ist, gibt es immer noch die andere, die das Thema fortführt. Und bei bestimmten Aktionen – wie dem Bepflanzen der Hochbeete – helfen dann alle mit.

Deshalb ist das alles auch nur am Anfang einmal ein bisschen aufwendiger: Zum Beispiel bis die Hochbeete stehen. Oder bis man weiß, wie man Farben selbst herstellt. Und dann bieten wir all diese Dinge im Alltag an. Das ist wirklich bereichernd, denn zum Beispiel SevenGardens berührt so viele Bildungsaspekte: Wenn ich aus Rotkohl Farben machen möchte, dann muss ich den Kohl kleinschneiden und im Mörser zermahlen. Dazu brauche ich die Fein- und die Grobmotorik. Und wenn ich das Ganze dann noch mit Zitrone mische und der Kohl wird pink – oder mit Natron und er wird grün, dann erleben die Kinder auch noch chemische Prozesse. Natürlich kann man auch andere chemische Experimente machen. Aber ich finde es so toll, dass bei diesem einen Projekt alles zusammenhängt.

Dazu kommt, dass unsere Kinder als so genannte SevenGarden-Dialoger ausgebildet sind. Das bedeutet, dass sie andere schulen können. Das ist etwas ganz Besonderes für unsere Kinder, von denen alle einen Migrationshintergrund haben: auch wenn sie noch nicht viel Deutsch können – als Dialoger kommen sie aus der Rolle heraus, dass sie etwas nicht können oder kennen. Sie schulen andere, älteren Schulkinder oder sogar auch Erwachsene. Das macht was mit ihnen. Und es ist toll das zu sehen. Dafür lohnt sich das Ganze dann auch.

​Warum lohnt es sich, Globales Lernen in die Kita zu bringen?

Heike Klumbies: Es ist heute sehr, sehr wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidungen zu reflektieren. Nur dann können sie gute Entscheidungen für sich und ihre Zukunft treffen. Kinder lassen sich sehr schnell sensibilisieren. Gerade der Gerechtigkeitsaspekt spielt für sie eine große Rolle. Und dieser zieht sich ja auch durch viele Umweltbereiche hindurch. Es ist eine Sache, die Erkenntnis zu haben »Ich muss ja keine Plastiktüten nehmen«. Aber es ist eine ganze andere Sache, wirkliches Verständnis zu entwickeln. Zum Beispiel »Was passiert denn da mit den Tieren im Meer?«

Außerdem haben wir festgestellt, dass die Kinder die Themen häufig an ihre Eltern herantragen. Das funktioniert viel besser, als wenn wir mit dem erhobenen Zeigefinger den Eltern sagen würden »So nicht«. Das wäre ja auch Quatsch, denn wir sind ja keine Lehrer für die Eltern. Aber durch die Kinder verändert sich ganz viel. Zum Beispiel kam einmal ein Mädchen in die Kita, brachte Rosen mit und sagte »Guck mal, meine Mama sagte, sie musste die kaufen, weil sie das Fair-Trade-Zeichen darauf gesehen hat«. Denn wir gehen mit den Kindern auch tatsächlich durch die Geschäfte und gucken: wo finden wir denn überall die Zeichen? Dann erzählen sie ihren Eltern davon und sehen vielleicht sogar, dass zum Beispiel Fair-Trade-Schokolade gar nicht mehr unbedingt teurer ist, als die herkömmliche.

​Wenn eine Kita nun Globales Lernen umsetzen möchte – was sind Ihre Tipps?

Heike Klumbies: Das erste und wichtigste ist, dass sich das Team einig ist, dass es das machen will. Wenn ein oder zwei Personen nicht mitmachen möchten, ist das natürlich kein Hinderungsgrund. Aber zumindest der Großteil der Kolleg:innen sollte mitziehen. Genauso wichtig ist es, dass man die Eltern mit ins Boot holt. Das haben wir auch gemacht. Wir sind dann aber noch einen Schritt weitergegangen und haben auch die Kinder gefragt: Wollen wir das denn machen? Und die Kinder fanden das toll. Das ist ein wichtiger Schritt. Der Rest ergibt sich dann. Denn jede Kita muss ja auch immer gucken: Wo ist ihr Einzugsgebiet? Ich würde außerdem raten, in dieser Richtung eine Fortbildung zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch!