In der Stadt Göppingen nahe Stuttgart haben vor drei Jahren alle städtischen Kitas den Schritt zur FairenKITA gewagt. Wie das gelang und warum das mitten in der Corona Pandemie ein wichtiges positives Zeichen war, das berichten Alexandra Niemietz, Pädagogische Fachberatung Referat Kinder- und Schülerhäuser, und Jana Hruza, Referatsleiterin Kinder- und Schülerhäuser.
Wann sind Sie auf die Idee gekommen, dass die Kitas in Göppingen FaireKITAS werden?
Alexandra Niemietz: Im September 2020 gab es eine Schulung mit dem Titel »Kompass Nachhaltigkeit« in der Stadtverwaltung Göppingen. Alle Fachbereiche der Stadt Göppingen nahmen an dieser Schulung zum Thema »Nachhaltige Beschaffung« teil. Die Stadt Göppingen ist bereits seit 2012 FairTrade-Stadt. Die Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik Isabel Glaser stellte in einer weiteren Veranstaltung speziell für Kindertageseinrichtungen alle möglichen Ansätze und Projekte in Bezug auf eine faire Beschaffung und faires Handeln in der Kita vor – darunter auch die FaireKITA. Bei uns als Kita-Träger stieß das sofort auf großes Interesse.
Wie ging es dann weiter? Was haben Sie getan, um die Kitas von der Idee zu begeistern?
Jana Hruza: Wir waren mitten in der Corona-Pandemie und die Kitas hatten auch in Göppingen eine schwere Zeit. Daher haben wir uns genau überlegt, ob wir in dieser Situation noch mit einem zusätzlichen Thema um die Ecke kommen können. Aber auch dank der Unterstützung von Frau Glaser konnten wir zeigen, dass die Kitas von Göppingen bereits ganz viel tun, was für die Zertifizierung als FaireKITA notwendig ist. Wir konnten unseren Kitas also sagen, dass dieser Schritt gar nicht so viel Zusätzliches und Neues und Schwieriges ist. Außerdem freuten sich die Kitas über ein gemeinsames Projekt und darauf, gemeinsam ein Ziel zu verfolgen.
Wir sahen darin eine Chance, unseren Blick von den Belastungen durch die Corona Pandemie abzulenken und gemeinsam etwas Positives auf die Beine zu stellen. Deshalb war es uns von Anfang an wichtig, dass sich alle Kitas unter unserer Trägerschaft der Initiative anschließen. Und weil die Hürden für den Einstieg gar nicht so hoch sind, haben sich direkt auch alle Kitas angeschlossen. Hilfreich dabei war auch, dass es Unterstützung gab. Isabel Glaser und Karin Wirnsberger, die Projektkoodinatorin von FaireKITA Baden-Württemberg haben die Kitas bei dem Weg zur Zertifizierung begleitet. Überzeugt hat auch, dass die Dokumentation bei der FairenKITA sehr überschaubar ist. Hier geht es vor allem darum, ins Handeln zu kommen. Dabei haben die Kitas viele Freiheiten und das kam bei den Kitas gut an.
Gab es Weiterbildungsbedarf? Wie sah der Weg bis zur Zertifizierung aus?
Alexandra Niemietz: Es gab einen speziellen Arbeitskreis, in dem mindestens eine Person aus jeder Kita anwesend war. In diesem Arbeitskreis gab es Informationsveranstaltungen zu Fragen wie: Was ist Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)? Was ist FaireKITA? Worauf kommt es an? Was sind die Ziele? Was könnten Praxisschwerpunkte sein? Hilfreich war, dass es einige Beispiele aus anderen Kitas gab. Auf diese Weise konnten die Kitas in Göppingen das Ganze wirklich sehr niederschwellig angehen. So verhinderten wir Befürchtungen oder ein Gefühl von Druck bei den Kitas.
Und tatsächlich ist es so, dass unsere Kitas in Göppingen schon sehr viel machen. Sie beschäftigen sich intensiv mit Themen wie »Müll« oder »Energie«. Daher war schnell klar: Okay, so viel ist das gar nicht. Wir schauen jetzt einfach noch mal ein bisschen globaler auf diese Themen und überlegen, wie wir Fragen der Fairness und globalen Gerechtigkeit mit den Kindern ansprechen und den Fairen Handel. Das alles geht jetzt natürlich weiter. Die FaireKITA ist ja kein Projekt, das irgendwann beendet ist. Es ist ein Weg, eine Haltung die gelebt wird!
Was haben die Kitas zum Beispiel gemacht, um sich als FaireKITA zu qualifizieren?
Jana Hruza: Das fing bei einfachen Spielen an, mit denen Kinder erleben konnten: wie fühlt sich das an, wenn man fair oder unfair behandelt wird? Kinder haben dafür ein ziemlich sicheres Gespür. Wenn zum Beispiel beim Tauziehen auf der einen Seite viele Kinder ziehen und auf der anderen Seite nur ganz wenige, dann empfinden sie das als unfair. Die Kinder haben Siegel des fairen Handels erforscht und verschiedene Faire Produkte kennengelernt.
Außerdem haben die Kitas ganz viel aus nachhaltigen Materialien gebastelt, zum Beispiel aus Naturmaterialien. Oder sie haben Materialien wiederverwertet. Es gab Einrichtungen, die haben ganz tolle Elternnachmittage angeboten, bei denen es einen Informationsstand vom Weltladen gab, an dem sich Eltern informieren konnten. Dort haben auch Angebote stattgefunden, bei denen die Eltern mitmachen konnten.
Ein tolles Beispiel dafür war die Advents-Challenge zu den 17 Nachhaltigkeitszielen des Naturkindergartens Göppingen. Sie haben die Familien mit einem einleitenden Brief dazu eingeladen, Aufgaben zu lösen. Beispielsweise ein Spielzeug zu spenden, wöchentlich mindestens ein Buch vorzulesen, Kresse zu pflanzen, einmal regional auf dem Wochenmarkt einzukaufen, einen Kuchen mit fair gehandelten Lebensmitteln zu backen oder jemandem zum Essen einzuladen. Am Ende der Adventszeit wurde die Challenge anhand von Fotos mit den Kindern besprochen und es gab sogar kleine Gewinne.
Und schließlich besuchten viele Kita-Kinder auch das sogenannte »Globale Klassenzimmer« des Göppinger Weltladens. Bei einem speziellen Kita-Angebot des Weltladen-Teams konnten die Kinder einiges über die Herstellung von Schokolade erfahren: Wächst Schokolade auf Bäumen? Wo kommen all die Zutaten her und unter welchen Bedingungen entstehen sie? Das Globale Klassenzimmer greift auch andere Themen auf und ist aktuell dabei das Programm für Kitas zu erweitern.
Welche Wirkung hat und hatte der Prozess für die Kitas und das Umfeld der Kitas?
Alexandra Niemietz: Bereits der Weg zur FairenKITA hat eine größere Wirkung, als nur auf die Kinder. Das kann man anhand des Schokoladenbeispiels sehr schön sehen: Die Kinder fanden es ungerecht, dass sie hier in Deutschland als Kinder den ganzen Tag über spielen dürfen und Spaß haben. Wohingegen Kinder in anderen Ländern in ihrem Alter auf einer Plantage Kakaobohnen ernten müssen – und dann noch nicht mal richtig viel Geld dafür bekommen. Das fanden sie wirklich gemein.
Diese Erkenntnis und Empörung bringen die Kindern natürlich auch mit nach Hause. Sie gehen raus aus der Lebenswelt »Kita« und rein in die Lebenswelt »Zuhause«. Dann gehen sie mit den Eltern einkaufen und sagen auf einmal: »Die Schokolade kaufen wir lieber nicht. Lass uns schauen, dass wir eine Schokolade mit dem Fairtrade- oder Gepa-Siegel kaufen«. Das gleiche gilt für Bananen und viele andere Produkte.
Dazu kommt die Öffentlichkeitsarbeit, die ein wichtiger und fester Bestandteil ist, wenn eine Kita eine FaireKITA werden will. Das heißt alles, was die Kitas in Göppingen so gemacht haben, haben sie dann in die Öffentlichkeit getragen. Zum Beispiel gab es einen großen Zeitungsartikel über die Idee »FaireKITA«. Außerdem haben wir bei der Messe »Fair Handeln« viele Gespräche mit anderen, interessierten Kommunen und Fachkräften – selbst aus benachbarten Bundesländern – geführt. Es kamen auch Eltern an unseren Stand, die uns gefragt haben: »Wie haben Sie die Kita-Leitung dazu bewogen, sich als FaireKITA zertifizieren zu lassen? Ich wünsche mir das für unsere Kita auch.«
Fairer Handel und globale Gerechtigkeit sind derzeit wichtige gesellschaftliche Themen. Deshalb sind die Menschen damit ohnehin sehr oft konfrontiert. Da ist es schön und ermutigend für die Menschen, wenn sich die Kitas einer ganzen Stadt zusammenschließen und etwas Positives bewegen wollen.
Sind dann nicht auch die Erzieher:innen stolz?
Jana Hruza: Ja, auf jeden Fall. Sie sind total kreativ geworden und hatten viele Ideen. Am Weltkindertag haben wir daraus eine Präsentation gemacht, die wir an einem Stand mitten auf dem Göppinger Marktplatz ausgestellt haben – dort, wo auch die Zertifizierung zur FairenKITA stattgefunden hat. Außerdem gab es dort die gebastelten Sachen zu sehen und Anleitungen oder Rezepte zum Mitnehmen, die die Erzieher:innen geschrieben haben. Die Erzieher:innen waren selbst am Stand und konnten so mit interessierten Eltern in einen Austausch kommen. Es war für alle – die Kinder und die Erzieher:innen – toll, dass sie zeigen konnten, was sie so gemacht haben.
Wie motiviert die Erzieher:innen selbst sind, zeigt sich zum Beispiel darin, dass unser Naturkindergarten einen eigenen Arbeitskreis für die FaireKITA ins Leben gerufen hat. So müssen wir als Träger gar nicht mehr so viel beisteuern. Es sind die Mitarbeiter:innen der Kitas, die ihren großen Beitrag dazu leisten, dass die Göppinger Kinder schon von klein auf gut ausgestattet werden mit allem, was es für eine faire und nachhaltige Gesellschaft braucht.
Gab es auch Dinge, die Sie anderen nicht empfehlen würden?
Jana Hruza: Wir haben noch drei Kitas, die noch nicht zertifiziert sind. Sie haben sich diesen Schritt noch nicht zugetraut, weil zu dem Zeitpunkt die personellen Ressourcen fehlten, um sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen oder andere Themen anstanden. Das war schade, aber sie ziehen aktuell nach. Ein anderes Diskussionsthema war das Budget. Denn natürlich lag der Gedanken nahe: Weil faire Produkte ja teurer sind, braucht eine FaireKITA auch mehr Geld.
Da standen wir als Träger vor einem kleinen Problem. Wir haben uns dann bewusst dafür entschieden, kein Extra-Budget dafür zur Verfügung zu stellen, weil uns der bewusste Umgang mit Material oder Lebensmittel wichtig ist. So sind Bananen nun vielleicht nicht mehr täglich auf dem Obstteller, sondern nur noch einmal die Woche. Für die Kitas war das zunächst schon eine Herausforderung. Aber am Ende des Jahres hat sich keine Kita gemeldet, um uns mitzuteilen, dass das Geld nicht ausreichte. Darauf sind wir natürlich sehr stolz und wir sind den Kitas dafür dankbar.
Alexandra Niemietz: Denn natürlich steht und fällt so eine Initiative mit dem Engagement der pädagogischen Fachkräfte. Wir als Träger haben unheimlich Glück, dass wir so engagierte Mitarbeiter:innen haben. Jede Kita hatte dabei so ihren eigenen Zugang – je nach Standort, Schwerpunkt und/oder Bezirk. Die einen haben ein Hochbeet gebaut und mit den Kindern Gemüse groß gezogen. Und die anderen haben erforscht, welche Nationalitäten es so gibt und welche davon in der Kita vertreten sind. Wir als Träger haben keine Vorgaben gemacht. Uns war wichtig zu sagen: »Schaut, was zu euch und in eure tägliche Arbeit passt.« Das war aus unserer Sicht ein wichtiger Punkt, warum der Weg zur Zertifizierung für alle so ein großer Gewinn war.
Ich kann mir vorstellen, wenn die Kitas erst einmal größere Investitionen tätigen müssen – etwa faire und nachhaltige Möbel beschaffen –, dass wir dann auch mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Aber bis jetzt sind wir wirklich gut ohne zusätzliches Geld gefahren. Allein durch die Bildungsarbeit, die ja in dem Sinne nichts kostet, lässt sich schon viel bewegen. Entscheidend ist, dass das Bewusstsein bei den Mitarbeiter:innen geweckt wird. Deshalb war die gute Begleitung durch Karin Wirnsberger vom Entwicklungspädagogischen Informationszentrum EPiZ Reutlingen für uns so wichtig. Es gab regelmäßig digitale Treffen für den Austausch von Erfahrungen und neue Impulse. Für uns war das eine wichtige Erkenntnis, dass Fairness nicht nur eine Frage des Geldes ist.
Sie wollen die Kriterien für eine FaireKITA nun auch in das trägerübergreifende Qualitätshandbuch integrieren – was bedeutet das?
Alexandra Niemietz: Göppingen hat ein trägerübergreifendes Qualitätshandbuch, das in Zusammenarbeit mit den Trägern der evangelischen und katholischen Kirche sowie dem Deutschen Roten Kreuz entstanden ist und sich stetig weiterentwickelt. Auch die Bruderhaus Diakonie beteiligt sich nun am Qualitätsprozess in Göppinger Kitas. Darin sind bestimmte Prozesse verankert, wie zum Beispiel »Wie gehe ich mit herausforderndem Verhalten um?« oder » Aufnahme & Eingewöhnung«.
In der letzten Steuerungsgruppe haben wir das Projekt »FaireKITA« bereits vorgestellt. Auch die anderen Träger waren gleich sehr begeistert und sehen das Thema Nachhaltigkeit als relevant an. Deshalb planen wir für die kommenden Jahre, dass wir aus dieser Initiative heraus gemeinsam Ziele formulieren, die dann nicht nur für die kommunalen Kitas, sondern trägerübergreifend für die Kitas in der Stadt Göppingen gelten. Um allen Kitas den Einstieg zu erleichtern, werden wir auch hierfür Karin Wirnsberger als Expertin mit ins Boot holen.
Alles in allem ist uns vor allem die Haltung wichtig. Nachhaltigkeit, Fairness und Vielfalt darf nicht als zusätzliches Thema gesehen werden, sondern als eine Selbstverständlichkeit. Alles, was dazu beiträgt, soll in den ganz normalen Lebensalltag der Kitas übergehen. Deshalb ist die FaireKITA auch kein On-Top-Thema. Und aus diesem Grund ist es gut und wichtig, die Ziele im Qualitätshandbuch zu verankern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bild: Auf dem Bild oben sind zu sehen: Holger Rautenberg vom Naturkindergarten in Göppingen sowie die Projektkoordinatorin Karin Wirnsberger und Alexandra Niemietz mit Jana Hruza.
In Baden-Württemberg wird das Projekt FaireKITA vom Entwicklungspädagogischen Informationszentrum EPiZ in Reutlingen umgesetzt. Weitere Informationen zu FaireKITA Baden-Württemberg finden Sie unter www.fairekita-bw.de
Hinterlassen Sie einen Kommentar