Vorurteile in der Kita

Vorurteile in der Kita gibt es vor allem dann, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen. Wenn Erzieher*innen und Eltern bewusst und offen mit ihren Vorurteilen umgehen lernen, ist das jedoch ein Gewinn und kein Grund für Angst und Unsicherheit.

Ein Beitrag von Zohreh Rezvany

Obwohl es mittags um ein Uhr ist, ist es dunkel. Es regnet und mir ist kalt. Ich denke an die Tausende von Menschen, die gerade auch im Regen frieren – nur nicht hier in Deutschland, sondern in Ländern wie Jordanien, Türkei oder Libanon. Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, wie wir, sondern dort seit Jahren in den Zelten leben.

Die Flüchtlingsorganisation der UN, die UNHCR, berichtete neulich, dass zur Zeit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Mehr als die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie solch eine unklare Situation jahrelang aushalten können, ohne Schaden zu nehmen.

Ein geringer Anteil der Flüchtlinge kommt nach Deutschland und sucht unsere Hilfe. Manche sind seit Jahren unterwegs. Für Alleinstehende ist der Weg lang und schwierig, doch Familien haben es noch schwerer. Am aller schwierigsten ist es für die kleineren Kinder, die nicht verstehen, warum sie überhaupt ihr Zuhause verlassen mussten.

So kommen sie total irritiert und müde in deutschen Kindergärten an. Hier sollen sie im zarten Alter von nur drei Jahren ihr neues Umfeld verstehen, in der Gruppe mit anderen Kindern und den Erzieher*innen klarkommen. Doch sie verstehen die neue Sprache nicht, kennen die Regeln nicht und müssen sich dennoch anpassen und sich selbst neu finden. Diese Situation ist nicht nur für die Kinder eine Herausforderung, sondern auch für die Erzieher*innen – beide Seiten sind meist mit der Situation überfordert.

Vorurteile auf beiden Seiten

Dazu kommt, dass es fast immer auf beiden Seiten Vorurteile gibt, die es schwerer machen, offen aufeinander zu zugehen. Auf Seiten der Erzieher*innen stoße ich oft auf Vorurteile wie: „Die Eltern verstehen nichts und die Kinder noch weniger“. Sie fragen sich, wie sie mit ihnen klar kommen sollen und wie sie sich verständigen können.

Oft gibt es auch das Vorurteil, dass die Eltern geflüchteter Kinder keine Regeln kennen würden. „Es ist mühsam mit ihnen zu arbeiten. Die Eltern werden sowieso nicht die Regeln, so wie wir sie aufstellen, einhalten“, kann man dieses Vorurteil auch zusammenfassen. Dazu kommt das gängige Vorurteil, dass kleine Junge angeblich keinen Respekt Frauen gegenüber haben und sich von ihnen nichts sagen lassen.

Doch auch aus der Sicht der geflüchteten Eltern gibt es typische Vorurteile. Dazu gehört zum Beispiel die Vorstellung, dass sie sich ohnehin nicht verständigen können. „Sie sollen unsere Kinder nehmen und sie erziehen – ich kann da sowieso nichts tun“, denken viele. Sie gehen davon aus, dass sie im Kindergarten ohnehin ausgeschlossen sind und nicht mitgezählt werden. Und dass sie sowieso nicht verstehen, was passiert – also lassen sie alles einfach so laufen.

5 Grundhaltungen für Offenheit und gegen Vorurteile


1. Offenheit: Seien Sie nicht nur den Menschen, sondern auch anderen Kulturen gegenüber offen.

2. Verständnis: Nehmen Sie die Menschen so wie sind an und versuchen Sie sie und ihre Situation zu verstehen.

3. Geduld: Versuchen Sie sofort auf die Bilder in Ihrem Kopf zurückzukommen, wenn etwas nicht richtig ankommt. Versuchen Sie die Situation zu verstehen.

4. Kommunikation: Je schwieriger und komplexer eine Situation ist, desto mehr sollten wir miteinander reden. Kommunikation baut Vorurteile ab und Verständnis auf.

5. Interkulturelle Kompetenz: Diese Fähigkeit ist nicht nur für die Erzieher*innen, sondern auch die Eltern zentral. Sie ermöglicht, dass beide Seiten die Kultur der anderen kennenlernen kann.

Die eigenen Vorurteile erkennen

Diese Herausforderung können Erzieher*innen und Eltern – zum Wohle der Kinder – nur meistern, wenn sie sich mit ihren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen. Diese entstehen unbewusst als stereotype Bilder, nach denen wir handeln, in unseren Köpfen. Sobald wir zum Beispiel hören, woher ein Mensch kommt, sortieren wir ihn unbewusst anhand dieser Stereotypen in unseren Köpfen ein.

Einflüsse von außen – etwa durch die Medien, die Politik oder die Erfahrungen unseres Nachbarn – bestätigen oder widerlegen unsere Vorurteile. Auch unsere täglichen Herausforderungen – wie unsere Ängste, Unsicherheiten und vielleicht auch unsere Biographie – haben Einfluss auf sie. Das macht es nicht leicht für uns, unsere Vorurteile abzubauen. Das gilt nicht nur für die Erzieher*innen, sondern auch für die Eltern. Beide Seiten sind vor die gleiche Herausforderungen gestellt.

Dennoch kann ich Vorurteile bei mir erkennen, wenn ich mich beobachte und mir bewusst mache, wie ich anderen gegenüber auftrete. Hilfreiche Fragen sind zum Beispiel:

  • Wie gehe ich mit anderen Menschen um?
  • Wie sehe ich die Menschen?
  • Was geht in mir vor, wenn ich die Kinder sehe?
  • Denke ich an die Haut- oder Haarfarbe?
  • Wie reagiere ich, wenn ich höre, woher sie kommen?

Meiner Meinung nach, sollten wir uns alle über unsere Vorurteile ganz bewusst werden. Wichtig ist anzuerkennen, dass jeder Vorurteile hat – und dass es zunächst nicht darauf ankommt, keine zu haben, sondern bewusst mit ihnen umzugehen. Dabei hilft es, Vorurteile nicht nur zu erkennen, sondern auch aufzuschreiben und diese dann langsam abzubauen.

Offenheit kann man lernen

Die Herausforderungen der anderen Kulturen kennenzulernen ist ein gesellschaftliches, kein individuelles Problem. Kitas sollten in diesem Bereich daher unbedingt Fortbildungen anbieten. Das kann bereits sehr niederschwellig geschehen und Stück für Stück aufgebaut werden. Die Erzieher*innen und Eltern sollen zum Beispiel zusammenkommen und sich ohne Vorurteile kennenlernen:

  • Erzieher*innen und Eltern sollten nicht nur die Entwicklung ihrer Kinder beobachten, sondern auch ihre eigene. Gut integrierte und starke Kinder brauchen gut integrierte und starke Eltern. Erzieher*innen sollen die Eltern daher nicht ausschließen, sondern sie mit in die Arbeit und Entwicklung der Kinder einbeziehen.
  • Eltern sollten ihre Rolle auch in der (neuen) Gesellschaft annehmen und lernen, wie sie damit umgehen. Sie sollten nicht nur die Kinder in die KiTA bringen, sondern auch ein Stück Verantwortung übernehmen und sich am Alltag der KITA beteiligen. Dabei lernen sie, was ihre Rolle ist, und sie begleiten die Entwicklung ihres Kindes. Sie lernen, wie sie auch ihre eigenem Vorurteile sowie Unsicherheiten abbauen und selbstbewusster werden können. Jeder Kindergarten kann dafür ein Konzept entwickeln.
  • Erzieher*innen sollten Hilfe zur Selbsthilfe geben. Auch wenn es schwieriger scheint, so sollten sie nicht die Aufgaben der Eltern übernehmen, sondern ihnen zeigen, wie diese dies selbst tun können.

Miteinander reden beseitigt Vorurteile

Eine der wichtigsten Hilfen, um Vorurteile abzubauen ist: miteinander reden. Meiner Ansicht nach sollen die Erzieher*innen alles, was in ihnen vor sich geht, offen kommunizieren. Falls es Fragen gibt, sollten sie diese in einem offenen Gespräch ansprechen und Antworten finden. Diese Gespräche sind sowohl in Teams notwendig, als auch mit den Eltern.

Falls die Eltern nicht offen für solche Gespräche sind oder sehr langsam darauf reagieren, sollten Erzieher*innen es immer wieder versuchen. Geflüchtete Eltern werden irgendwann darauf reagieren. Sie lieben ihre Kinder und wollen auch in der Gesellschaft hier ankommen. Erzieher*innen sollten ihnen Zeit lassen und Geduld zeigen.

In KITAs können auch Integrationslotsen oder Multiplikatoren hilfreich sein. Eltern mit Migrationshintergrund können sich ebenfalls als Integrationslotse oder Multiplikator ausbilden lassen. Sie sind dann Vorbild für neu Zugewanderte und helfen auch den Eltern, sich besser zu integrieren.

Fazit

Wir alle brauchen Zeit – sowohl die Aufnahmegesellschaft, als auch die Neuzugewanderten. Wir sollten uns daher nicht bewusst oder unbewusst überfordern. Statt dessen sollten wir vor allem versuchen, die Situation zu verstehen. Vielfalt ist eine Bereicherung für die Gesellschaft. Beide Seiten lernen voneinander und können sich gegenseitig unterstützen.

Wenn wir es so sehen, freuen wir uns jeden Tag auf die neuen Herausforderungen, die Farbe in unsere Gesellschaft bringt. Und dann sind wir offen für alle Menschen, denen wir bei unserer Arbeit begegnen.

Über Zohreh Rezvany

Zohreh Rezvany engagiert sich für Globales Lernen und arbeitet seit 2013 als Referentin im Programm „Bildung trifft Entwicklung“ (BtE). Geboren ist sie im Iran. Seit mehr als 30 Jahren lebt sie jedoch außerhalb ihres Geburtslandes.
Am 05. Oktober 2017 gibt sie in Kooperation mit KITA-GLOBAL.de in Bad Nauheim eine Weiterbildung zum Thema „Alle Kinder sind gleich?! Das Thema Vielfalt und Vorurteile in der Kita“ in diesem Beitrag.

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