Globales Lernen, was ist das überhaupt? Es ist die pädagogische Antwort auf unsere globalisierte Welt – und etwas, womit Kinder und Erwachsene jede Menge Freude und Selbstwirksamkeit erleben können.
Was ist Globales Lernen und wie fange ich damit an? In diesem Interview sprechen wir mit zwei Expertinnen, die viele Jahre Praxiserfahrung in diesem Bereich haben: Gundula Büker ist Eine-Welt-Fachpromotin für Globales Lernen und im Bereich Geschäftsführung des Entwicklungspädagogischen Zentrums EPiZ Reutlingen tätig. Sie begleitet für das EPiZ die Projekte im Bereich frühkindliche Bildung.
Virtuell neben ihr sitzt Karin Wirnsberger. Sie ist seit über 20 Jahren Bildungsreferentin für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) und für Globales Lernen (GL). Außerdem ist sie Projektkoordinatorin von verschiedenen Kita-Projekten in Baden-Württemberg am EPIZ Reutlingen. Beide zusammen sind seit Ende 2021 die verantwortlichen Köpfe hinter der Ideenplattform KITA-GLOBAL.
Was ist Globales Lernen?
Gundula Büker: Globales Lernen ist ein Bildungskonzept, das Ende der 1990er, Anfang der 2000er entstanden ist. Und zwar aus der Fragestellung heraus: Was kann eine pädagogische Antwort auf die Globalisierung sein? Globales Lernen will Kindern und Erwachsenen helfen, sich in unserer Welt zu orientieren. Sie stellt uns vor viele Herausforderungen, die auch eine globale Dimension haben. Globales Lernen fördert das Verständnis für diese globalen Zusammenhänge. Zum einen mit dem Blick auf die Welt. Und zum anderen mit dem Blick auf uns und unserer Rolle bei all dem.
Beim Globalen Lernen geht es daher nicht nur um Themen. Es geht vor allem um die Zusammenhänge zwischen diesen Themen und uns. Dabei spielt die Frage nach den Werten dahinter eine wichtige Rolle, zum Beispiel „globale Gerechtigkeit“. Globales Lernen hilft dabei zu erkennen, wie wir Gerechtigkeit erreichen und welche Verantwortung wir dafür übernehmen müssen.
Wieso ist es wichtig, dass sich bereits Kinder in der Kita mit solchen Fragen auseinandersetzen?
Karin Wirnsberger: Kinder wachsen in diese globalisierte Welt hinein. Sie müssen sich in ihr zurecht finden und mit ihr umgehen können. Die Welt ist zu Gast in der Kita, denn hier gibt es Kinder und Familien aus aller Welt. Sie ist zu Gast im Kinderzimmer bei den Spielsachen, bei der Kleidung, den Büchern oder der Technik. Sie ist zu Gast beim Essen und in den Nachrichten. Kinder werden also permament mit dem konfrontiert, was in der Welt passiert.
Deshalb haben Kinder viele Frage und müssen mit diesen Fragen auch irgendwo gehört werden und ankommen können. Im Kindergarten erkunden Kinder die Welt und die Mitwelt. Sie entdecken Zusammenhänge. Deshalb ist es so wichtig, dass es hier Lernräume gibt, wo sich Erzieher*innen und Kinder zusammen Gedanken machen könnnen über Gerechtigkeit, über Ressourcen und den Umgang miteinander. Dass Kinder hier auch üben können, Standpunkte und Meinungen zu entwickeln und zu vertreten. Und auch, dass sie die Erfahrung machen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat. Dass sie die Welt mitgestalten können. Dass sie etwas tun können, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Globales Lernen ist ein gemeinsamer Weg von den Kindern, den pädagogischen Fachkräften, den Eltern und allen, die sonst noch mit im Boot sind.
Wie unterscheidet sich Globales Lernen von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)?
Gundula Büker: Die Schnittstellen zwischen den beiden Konzepten werden immer größer, die Unterschiede immer kleiner. Denn beide fragen danach, wie wir die Welt gerecht, friedlich und nachhaltig gestalten können. Die größte Unterscheidung liegt in der Entwicklung der beiden Konzepte im deutschsprachigen Raum. Die BNE ist aus der Umweltbildung entstanden, Globales Lernen aus der Eine-Welt- und Friedensbildung. Durch Prozesse, wie die der Agenda 2030, haben sich beide Konzepte immer weiter angenähert. In der Praxis ist es oft schwer, eine Unterscheidung zu treffen.
Globales Lernen wird oft als ein Teil der BNE gesehen. Dennoch stehen hier verstärkt die globalen Fragen im Blickfeld und damit auch die Gerechtigkeitsfrage. Damit hat Globales Lernen eine politische Handlungsdimension. Das kann für eine Kita zum Beispiel bedeuten, dass sie partizipative Strukturen entwickelt. Das hört sich erstmal gar nicht so global an. Aber es ist wichtig, wenn es um die Frage geht, welche Verantwortung wir persönlich übernehmen wollen.
Wenn wir Welt gestalten wollen fragt sich, wer eigentlich welche Gestaltungsmacht hat – im Sinne von „Möglichkeiten“ – und was das an Verantwortung mit sich bringt. Für die Kita bedeutet das zum Beispiel zu gucken, welche Verantwortung bei wem liegt. Beispielsweise ist klar, dass Erzieher*innen zunächst eine viel größere Gestaltungsmacht haben als Kinder. Daher müssen sie auch sensibel damit umgehen. Solche Fragen spielen beim Globalen Lernen vom Konzept her eine größere Rolle, als bei BNE.
Aber egal, auf welchem Konzept eine Bildungsarbeit basiert: Wichtig ist das Ziel – eine Welt, in der alle gut leben können, die friedlich ist und umweltgerecht gestaltet. Das ist das allerwichtigste. Ob man das Globales Lernen oder BNE oder Bildung für eine gute Zukunft nennt, ist zweitrangig.
Globales Lernen sollte – wie BNE – ein integraler Bestandteil jeder Kita sein. Was bedeutet das?
Karin Wirnsberger: Globales Lernen und BNE sind für Kitas keine Kür, sondern ganz zentral, damit die Transformation unserer Gesellschaft angesichts der großen, globalen Herausforderungen gelingt. Globales Lernen ist ein Weg, den alle zusammen miteinander gehen. Wir lernen dabei nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis. Und wir lernen zusammen mit den Kindern im Tun. Das wiederum bedeutet, dass Pädagog*innen Globales Lernen nicht nur als Thema behandeln, sondern es im Alltag leben.
Eine Kita beginnt vielleicht mit einem Regenwald-Projekt und beginnt sich zu fragen, wo die Produkte herkommen, die sie im Alltag verwendet. Schließlich stellt sie Schritt für Schritt ihre Beschaffung um – zum Beispiel auf palmölfreie Produkte. Dann spiegelt sich das, was die Kinder lernen, auch im Alltag der Kita wieder. Und das schwappt dann auch in die Umgebung der Kita über: Zu den Eltern, dem Träger, den Nachbarn, der Gemeinde.
Dann ist Globales Lernen keine zusätzliche Aufgabe, sondern ein Teil des Alltags. Globales Lernen ist also kein großes Projekt. Es besteht aus vielen kleinen Schritten, die sich aneinandereihen. Als Pädagog*in kann ich dann mit der Global-Lernen-Brille durch die Kita gehen und alles langsam in diese Richtung verändern. Zum Beispiel den Umgang mit Lebensmittel, mit Ressourcen, mit Büchern und Materialien – immer mit den Fragen: Was machen wir schon gut? Und wo können wir noch etwas verändern? Man spricht dabei auch vom „Whole Institution Approach“.
Ist es für Kinder nicht schwierig, sich schon mit Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung auseinander zu setzen?
Gundula Büker: Ja, das sind schwierige Themen. Und genau weil diese Themen schwierig und komplex sind, müssen wir schon in der Kita damit anfangen, die Kinder dafür zu stärken. Zeitgemäße Bildung beinhaltet immer Themen, die mit der Welt zu tun haben. Und die Welt, in der wir leben, ist immer auch global und als solche in der Kita präsent. Genau deshalb ist es so wichtig, diese Themen über Globles Lernen anzusprechen, damit Kinder kreativ, interaktiv und konstruktiv damit umzugehen lernen und nicht ohnmächtig zurückbleiben. Damit sie eine Resilienz entwickeln, handlungsfähig und lösungsorientiert sind und die Herausforderungen annehmen können.
Wie fangen Pädagog*innen am besten mit Globalen Lernen in der Kita an?
Karin Wirnsberger: Niemand muss von Anfang an viel Ahnung haben. Als Pädagog*in machen Sie sich einfach mit den Kindern zusammen auf den Weg und arbeiten sich gemeinsam mit ihnen in diese Themen ein. Das ist besonders spannend und inspirierend. Denn wir alle sind Experten und auch nicht. Wir alle haben ganz viel Halbwissen. Und sich da kleine Häppchen rauszusuchen, sich damit auseinanderzusetzen und auch gleich den Blickwinkel der Kinder mit reinzunehmen – das ist total spannend.
Wichtig ist hierbei: Es gibt kein richtig und kein falsch. Es gibt nur Möglichkeiten. Außerdem empfehle ich tatsächlich kleine Schritte. Die großen Sprünge führen meist nicht zum Ziel. Und man darf auch Fehler machen. Eine Aktivität darf auch mal im Sande verlaufen oder nicht klappen. Wir sollten achtsam und fehlerfreundlich miteinander und mit uns umgehen. Es braucht einfach Kreativität, Mut, Inspiration und Begeisterung für diese Themen.
Denn Globales Lernen kann, darf und soll Spaß machen. Das vergessen wir oft, wenn wir die Berichte über nachhaltige Projekte in der Presse lesen: BNE und Globales Lernen haben nicht mit Verzicht zu tun. Sie eröffnen viele neue Räume, die Spaß machen und uns neue Erlebnisse bescheren.
Oft gibt es in der Kita Stress und Zeitnot. Wie können Pädagog*innen dennoch Globales Lernen umsetzen?
Gundula Büker: Wenn es den Menschen in der Kita wichtig ist, dann schaffen sie das, weil Globales Lernen dann kein Add-on ist. Es ist Teil der alltäglichen Kita-Kultur. Ein guter Anfang für Globales Lernen ist deshalb auch, dass das Kita-Team zunächst eine gemeinsame Vision entwickelt und sich fragt: Wenn ich an eine gute Welt denke, was ist mir da eigentlich wichtig? Das hört sich einfach an, aber es ist wirklich ein guter Start, um herauszufinden, wo wir als Kita hinwollen – und wie wir dem entsprechend anfangen und weitergehen können.
Dann entwickelt sich eine neue Haltung – wir haben vorhin schon mehrfach von der Globales-Lernen-Brille gesprochen. Die Mitarbeitenden schauen sich den Alltag in der Kita mit einem anderen Bewusstsein an und gestalten ihn neu. Deshalb braucht Globales Lernen auch keine extra Ressourcen. Zeitnot und Stress sind in Kitas präsent und das wird ein Stück weit auch so bleiben. Aber es kann auch helfen, sich über den eigenen nachhaltigen Umgang mit der Welt, den Anderen und sich selbst Gedanken zu machen, um einen besseren Umgang damit zu finden.
Karin Wirnsberger: Zudem sollten Pädgog*innen schauen, was sie gerne machen. Weg von dem, was man machen muss – hin zu dem, was man gerne macht: Dinge reparieren zum Beispiel oder etwas nähen, kochen oder im Garten arbeiten. Wenn die pädagogischen Fachkräfte ihre Steckenpferde mit einbringen können, dann hilft das, Raum für neue Dinge wie Globales Lernen zu schaffen, ohne dass dies als zusätzliche Belastung empfunden wird.
Und schließlich sollten Kitas jede Hilfe nutzen, die da ist. Auch hier auf KITA-GLOBAL gibt es viele Impulse und Ideen. Nachmachen ist in diesem Bereich ausdrücklich erwünscht. Es kann sich immer nur etwas Spannendes daraus entwickeln und alle geben ihre Ideen gerne her. Zudem können sich Kitas auch Unterstützung bei Bildungsreferent*innen, Expert*innen und Angeboten holen. Auch in der Elternschaft kann es Unterstützung geben.
Wie holen Kitas die Eltern mit ins Boot?
Karin Wirnsberger: Es ist wichtig, dass die Eltern mitkriegen, was in der Kita passiert: Wie läuft dort die Bildungsarbeit ab? Was sind die Themen, mit denen die Kinder konfrontiert werden? Pädagog*innen können bei einem Elternabenden auch mal schauen, wie die Eltern zu dem Thema stehen. Welche Kompetenzen und Expert*innen gibt es unter ihnen? Wie lassen sie sich einbinden?
Wichtig ist auch, die pädagogische Arbeit mit den Kindern sichtbar zu machen – mit Plakaten, Ausstellungen oder Festen. Eltern sind stolz, wenn sie sehen, was ihre Kinder machen. Oder wenn sie zu Expert*innen werden und ihren Eltern erzählen, was sie wissen. Und auch hier – also bei Elternabenden oder Festen – kann die Kita überlegen, wie sie Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit umsetzen kann.
Spannend sind darüber hinaus Angebote für die Eltern: Ein gemeinsamer Kochabend, eine Kleidertauschparty oder eine Ecke mit einem Büchertauschregal. So können Eltern mit neuen Themen in Berührung kommen und sich inspirieren lassen.
Wie kann ich Kolleg*innen für Globales Lernen begeistern?
Gundula Büker: Hilfreich ist es, wenn das ganze Team – etwa bei einer Inhouse-Fortbildung – erlebt, dass Globales Lernen nichts Katastrophen-Pädagogik zu tun hat. Es geht nicht darum, laufend irgendwelche Probleme zu wälzen. Globales Lernen bietet vielmehr Möglichkeiten, um in unserem Umfeld wirksam zu werden mit dem, was die Welt sowieso in die Kita bringt, und was uns selbst oft auch Fragen stellen lässt. Das begeistert viele Kitas.
Dann gibt es mittlerweile viele Netzwerke, die Kita-Teams motivieren, wie die Netzwerke des Projektes „FaireKITA“. Sie erkennen: „Oh, wir sind tatsächlich nicht alleine!“ Auch wenn ich noch nicht total lange auf diesem Weg bin, kann ich ganz viel von Kolleg*innen profitieren. Und natürlich kann man sich auch hier bei KiTA-GLOBAL informieren: was passiert denn so Tolles? Wer ist da eigentlich unterwegs? Was gibt es für Materialien? Das alles macht total Lust, Globales Lernen in die Kita zu holen.
Neben all der Begeisterung steht hinter Globalem Lernen aber natürlich auch eine ernste Relevanz. Das machen die Bildungs- und Orientierungspläne im Bereich der frühkindlichen Bildung deutlich. Die Bildungspolitik nimmt diese Themen immer mehr in den Blick und erkennt: „Globales Lernen und BNE ist total relevant für frühkindliche Bildung. Wir geben deshalb dazu einen Rahmen vor, der Kitas vielleicht dazu motiviert, hier aktiv zu werden.“
Vielen Dank für das Gespräch!
1 Kommentar