Interview: Dr. Dolly Conto Obregon über die Eine Welt in kleinen Händen

Frau Dr. Dolly Conto Obregon leitet das Projekt Die Welt in kleinen Händen – Globales Lernen in Kindergärten und Schulen.

KiTA-GLOBAL: Sie leiten das Projekt „Die Welt in kleinen Händen – Globales Lernen in Kindergärten und Schulen“. Worum geht es dabei?

Dr. Conto Obregon: Das Projekt fördert das Verständnis und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und zeigt die gegenseitige Abhängigkeit alle Länder und Gesellschaften dieser Welt bei der Bewältigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Probleme der Gegenwart und der nahen Zukunft.

Das Ziel des Projektes ist es, die globale Kompetenz bei Kindern zu entwickeln. Dies geschieht über den Ansatz des globalen Lernens und die direkten Begegnungen mit Pädagog*innen mit Migrationshintergrund. Vier Monate lang kommen sie einmal in der Woche in die Kindereinrichtungen.

In Kindergärten und/oder Schulen stellen dafür fortgebildete Pädagog*innen entwicklungspolitische Themen  wie Lebensbedingungen weltweit, Klimawandel, Fauna, Flora, Kultur, Fluchtursachen, Normen und Werte vor. Dann diskutieren sie diese mit den Kindern und Erzieher*innen und erläutern die Zusammenhänge. Die Kinder haben die Möglichkeit, alle Sinne wie Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken, Fühlen einzusetzen. In anderen Lerneinheiten können sie sich bewegen, tanzen, singen und andere Ausdrucksweisen testen. Die Rollenspiele – bei denen sich die Kinder in Menschen anderer Kulturen hineinversetzen – sind besonders beliebt.

Bei den Pädagog*innen handelt es sich in der Regel um Migrant*innen, die durch ihre Erfahrungen und kulturellen Hintergründe die Themen authentisch vermitteln und in ihrer Funktion als Autoritätsperson beispielhaft wirken. Das erzeugt ein Umdenken, das die Kinder auch an ihre Bezugsgruppen weitergeben.

Wir sind sehr stolz, wenn wir am Ende sagen können, dass dieses Projekt die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge und Verbindungen innerhalb der „Einen Welt“ im Wissen der Generationen der 3 bis 12-jährigen in Berlin so stark verankert, dass sie sich zukünftig aktiv am Zusammenwachsen Europas und der ganzen Welt beteiligen.

Unser Ziel ist es auch, langfristig die Methoden und Inhalte des „Globalen Lernens“ in die Arbeit der Kindereinrichtungen einzubinden – vor allem auch im Elementarbereich. Damit fördert das Projekt den Aufbau von solidarischem Verhalten unter Kindern aus verschiedenen Kulturkreisen. Zudem hilft es zu verhindern, dass ausgrenzendes Denken und Verhalten entstehen.

Mitmachen können alle Kindereinrichtungen, die Kindergruppen mit mindestens 15 Kindern haben. Interessierte Gruppen können sich jederzeit melden.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Erzieher*innen in den Kitas gemacht?

Dr. Conto Obregon: Die Zusammenarbeit zwischen den Pädagog*innen, Erzieher*innen und mir ist in fast allen Einrichtungen gut und kollegial verlaufen. Die Arbeit der Pädagog*innen bedeutete immer eine Entlastung und kreativen Input für das Personal der beteiligten Einrichtungen. Unsere Feedback-Bücher belegen, dass die teilnehmenden Erzieher*innen zufrieden sind. Darin schreiben sie zum Beispiel:

Feedback der Erzieher*innen

• „Ein abwechslungsreiches Angebot: Bewegung Kreativität, Tanz, Musik und Spiel.“
• „Die Kinder lernen Länder des Südens kennen.“
• „Die Kinder lernen neue Lebensmittel kennen und haben viel Spaß beim Selber-Kochen.“
• „Die Kinder lernen das Leben von Gleichaltrigen in einem anderen Land kennen.“
• „Durch die vielen Impulse fühlen sich die Kinder in das Land versetzt.“
• „Die Erde weint und ist über den vielen Müll traurig – das hat die Kinder tief beeindruckt.“
• „Auch wenn es länger gedauert hat, waren die Kinder bei der Sache.“

Was bieten Sie für die Ausbildung von Erzieher*innen und Pädagog*innen mit Migrationshintergrund?

Dr. Conto Obregon: Neben der Fortbildung der Pädagog*innen mit Migrationshintergrund im Bereich „Globales Lernen“ liefert das Projekt Ansätze, um Themen des Globalen Lernens in die Ausbildung von Erzieher*innen einzubinden.

In regelmäßigen Gesprächskreisen erfahren Erzieher*innen inhaltliche, methodische und didaktische Hilfen mit denen sie globale Themen vermitteln können. Dadurch können sie die Veranstaltungen ergänzen und als Multiplikatoren wirken.

Unserer Meinung nach ist das Konzept geeignet, um eine große Anzahl von Personen zu erreichen und durch Wissensvermittlung diskriminierendes Verhalten zu verhindern. Diese Strategie der kontinuierlichen, präventiv wirkenden Arbeit führen wir weiter. Dafür erweitern wir ständig unsere Themen, Materialien und den Kreis der Pädagog*innen  mit Migrationshintergrund.

Wieso ist Ihnen die Bindung zwischen Pädagoginnen*nnen mit Migrationshintergrund und Kindern so wichtig?

Dr. Conto Obregon: Die Kindergruppen der beteiligten Einrichtungen bestanden bislang hauptsächlich aus Kindern von deutschen Eltern, die kaum oder keine Kontakte zu Kindern fremder Kulturen hatten (nur eine Kita in Neukölln hatte einen größeren Anteil von Kindern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund). Für sie war der Besuch des Pädagogen oder der Pädagogin der erste intensivere Kontakt zu einem Menschen anderer Hautfarbe.

Aus anfänglicher Scheu wurde bei vielen Kindern schon in den ersten Einheiten Neugier. Später spielte der Unterschied für sie gar keine Rolle mehr. Es zeigt sich, dass Kinder ihre bisherigen Ansichten sehr schnell ergänzen oder revidieren. Ausnahmslos alle Kinder ließen sich auf die Pädagog*innen ein und lernten Spiele, Wörter, Musik, Tänze und Umgangsformen der jeweiligen Herkunftskultur.

Dabei ist es wichtig, dass die Pädagog*innen mit Migrationshintergrund glaubhaft sind: Sie schildern eigene, autobiografische Erfahrungen und liefern den Kindern durch entsprechendes Auftreten eindrückliche Bilder. Ihre Erzählungen aus ihrer Kindheit, Schulzeit oder Familie machen die Pädagog*innen zu Augenzeugen – ihre Darstellungen und Methoden sind für die Kinder nachvollziehbar.

Nach vier Monaten der Zusammenarbeit ist die Verbindung zwischen den Pädagog*innen und Kindern sowie zwischen Pädagog*innen und Erzieher*innen meist sehr stark. Dann ist es vor allem für die Kinder eine große Enttäuschung, wenn die Pädagog*innen plötzlich nicht mehr kommen. Deshalb wollen wir die aufgebauten Beziehungen künftig durch unregelmäßige Besuche weiter pflegen.

Wie ist die Beziehung zwischen Pädagog*innen und Eltern?

Dr. Conto Obregon: Die Eltern sind in der Regel wesentlich misstrauischer als die Kinder. Das ist verständlich: Sie tragen die Verantwortung für ihre Kinder und fürchten, dass die Erziehung in der Kita nicht zu ihren eigenen Erziehungszielen passt. Deshalb ist Vertrauen hier ganz wichtig. Am Anfang stellen die Pädagog*innen daher sich, ihre Themen und ihr Herkunftsland vor.

Wir legen Wert darauf, dass wir den Eltern immer wieder erläutern, wie ihre Kinder den Umgang mit anderen Kulturen erlernen und wie wichtig die soziale und globale Kompetenz heutzutage ist – wenn man das Zusammenwachsen von Kulturen und Wirtschaftseinheiten als Chance begreift und daran teilnehmen möchte. Doch die Kinder haben selbst den größten Einfluss auf ihre Eltern. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie zuhause von den Lerneinheiten erzählen – das zeigten die Nachfragen der Eltern.

Wieso ist die frühkindliche Bildung bei Ihrer Arbeit so wichtig?

Dr. Conto Obregon: In Berlin leben Menschen aus über 189 Nationen zusammen. Jede dieser Gruppen hat ihre eigene Kultur mitgebracht und versucht sie zu leben. Schnell verbreiten sich im Gastland aber auch unter den zugezogenen Nationalitäten Vorurteile und Stereotypen, Ablehnung und sogar Hass mit radikalen Tendenzen.

Obwohl diskriminierendes Verhalten kein spezifisches Problem von Kindern ist, nehmen sie ganz selbstverständlich Stereotypen und Vorurteile auf, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Auch wenn die Bilder noch nicht so stark gefestigt sind, nehmen Kinder Unterschiede zwischen Menschen – durch die Hautfarbe, das Geschlecht oder Gewicht – sehr wohl war.

Problematisch wird es dann, wenn sich die Vorurteile festigen, weil sie keine alternativen Modelle kennenlernen. Was wir in dieser frühkindlichen Phase verpassen, können wir zu einem späteren Zeitpunkt nur schwer nachholen.

Aber es ist nicht zuletzt auch eine Frage der persönlichen Motivation: Die Erfolge bei der Arbeit mit kleinen Kindern lässt mich die Müdigkeit vergessen, die mich beschleicht, wenn ich mit Erwachsenen immer wieder an den gleichen Problemen scheitere oder ewig brauche, um zu Kompromissen und Ergebnissen zu kommen.

Über Dr. Dolly Conto Obregon

Dr. Dolly Conto Obregon, geboren in Bogotá/Kolumbien, ist Diplom Pädagogin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Sie gründete den Verein DownTown Connection e.V. und das internationale Straßenkinder Archiv. Heute leitet sie das Haus der Kulturen Lateinamerikas e.V. und das Projekt „Casa Latinoamericana“ in Berlin. Sie hat langjährige Erfahrungen in der Entwicklungspolitik, war mit CIM, GTZ und für Nicht-Regierungsorganisationen als Beraterin und Mitarbeiterin in Kolumbien, Bolivien, Guatemala, Ecuador und anderen Ländern unterwegs. Die Integrationsarbeit liegt ihr am Herzen, sie ist in Berlin gut vernetzt. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit gehören die Entwicklung von Konzepten und Projekten sowie die Netzwerkbildung.