Das erste Werkstatt-Treffen nach über zwei Jahren fand in Heidelberg bei zirka 40 Grad statt. Unser Thema: Die Möglichkeiten und Bedeutung des Storytelling im Kontext des Globalen Lernens. Das Fazit: Ein wertvoller Austausch und jede Menge Inspiration.
Storytelling für schwierige Themen
Ist es möglich, bereits mit Kindern im Kita-Alter schwierige und zugleich oft so abstrakte Themen wie globale Gerechtigkeit, Vielfalt und Umweltschutz zu thematisieren? Wir sagen: Ja! Es ist sogar notwendig. Viele Erwachsene wollen die Kinder möglichst lange vor den Problemen der Welt schützen. Deshalb vermeiden sie es, schwierige Themen anzusprechen.
Doch es ist unmöglich, Kindern von Themen wie Krieg, Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Umweltverschmutzung fernzuhalten. Sie bekommen dies über die Medien, die Gespräche der Erwachsenen, ihre älteren Geschwister und andere Bezugspersonen mit – und sei es, dass sie „nur“ die Angst oder Sorge der Erwachsenen irgendwie spüren. Freilich ohne genau zu wissen, was los ist und was sie tun können. Wer das dann nicht mit Kindern thematisiert, lässt sie damit alleine.
Geschichten sind ein ganz wichtiges Hilfsmittel, um solche schwierigen und schwer greifbaren Themen zu behandeln. Auf der einen Seite können Erziehende mittels Geschichten abstrakte Themen auf eine konkrete, anfassbare Ebene herunterbrechen. Auf diese Weise können die Kita-Kinder sie leichter verstehen. Auf der anderen Seite können sie durch Geschichten Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Das ist wichtig, damit sich die Kinder nicht ohnmächtig angesichts der Probleme fühlen. Statt dessen sollen sie Selbstwirksamkeit erfahren und somit gestärkt aus der Erfahrung hervorgehen.
Beispiele: Storytelling in der Praxis
Entsprechend vielseitig und unterschiedlich waren die Praxiserfahrungen, die die Teilnehmenden des Werkstatt-Treffens zum Thema „Storytelling“ mitbrachten. Eine Teilnehmerin aus Peru entwickelte zum Beispiel Geschichten für Kindertheater. Ihr zentrales Thema dabei ist „Dankbarkeit“. Die Bedeutung dieser inneren Haltung war ihr in jungen Jahren klar geworden, als sie ein dreitägiges Dankbarkeitsfest zusammen mit Indigenen in den chilenischen Bergen erlebte. Diese Erfahrung hat sie damals grundlegend verändert. Dies möchte sie heute durch ihre Geschichten weitergeben. Eine wichtige Ausgangsbasis sind für sie dabei die Mythen. Zum Beispiel eine Geschichte, die die Hopi erzählen und die sie während des Werkstatt-Treffens eindrucksvoll zum Besten gab.
Ein anderer Teilnehmender zeigte dagegen, wie wichtig es ist, eigene Erfahrungen in Geschichten zu gießen und unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen. Er erzählte von einem Erlebnis in Nepal: Er hatte dort etliche Jahre gearbeitet. Weil die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in diesem Land sehr strikt ist, gab es eine junge Frau, die für ihn das Wasser aus dem Brunnen in der Nähe holte (Wasser holen ist Frauensache). Diese junge Frau hatte eine kleine Tochter und dem Teilnehmer kam die Idee, dass er etwas Geld auf einem Konto anlegen könnte. Durch die Verzinsung hätte das Kind genug Geld zum Studieren, wenn es einmal in das entsprechende Alter käme. Der Vater der jungen Frau, der einer Kontoeröffnung zustimmen musste, erklärte jedoch: Er würde nur dann einwilligen, wenn das Konto auf seinen Namen laufe.
Da sich der Teilnehmer nicht sicher war, ob das Geld in diesem Fall auch tatsächlich beim Kind ankommen würde, ergab sich eine unglückliche Pattsituation: Er wollte das Geld unter diesen Umständen nicht hergeben. Gleichzeitig hätte es die Würde des Vaters als Familienoberhaupt zutiefst verletzt, hätte seine Tochter ein Konto mit Geld, über das er keine Kontrolle hatte. Diese Geschichte zeigt, so der Teilnehmer, dass es wichtig ist, die unterschiedlichen Perspektiven zu sehen und zu verstehen – auch wenn wir anderer Meinung sind. Es wäre falsch und sinnlos, sich über den Vater der jungen Frau zu ärgern. Denn mit Blick auf seine Tradition und Werte kann man sein Verhalten nachvollziehen und verstehen.
Vorurteilsbewusste Geschichten
Am Nachmittag widmeten wir uns der Frage, was Geschichten und Storytelling ausmacht, die sich für das Globale Lernen eignen. Einige Themen, die in allen Gruppen zur Sprache kamen, spiegeln Teile der Erzählungen vom Vormittag wider:
- Welche Sprache verwenden wir? Geschichten sollten ein Schwarzweiß-Denken in „gut“ und „böse“ vermeiden.
- Wer gehört zur Geschichte? Welche Menschen tauchen in den Geschichten auf? Wer spricht, wer nicht? Welche Rolle spielen die Menschen – wer ist aktiv, wer passiv?
- Sind es „schöne“ Geschichten? Oder behandeln sie Probleme und Herausforderungen in realistischer Form?
- Sind es moralisierende Geschichten? Welche Rolle spielen Religion und Dekolonisierung?
- Gehen sie von starken Kindern aus? Oder unterschätzen sie Kinder?
- Zeigen die Geschichten die unterschiedlichen Perspektiven? Gibt es Narrative, die neue Sichtweisen enthalten?
Laura Hebling vom Projekt m.i.t. gestalten berichtete zudem von ihren Erfahrungen: Zusammen mit anderen hat sie Kindergeschichten erforscht und analysiert, wie vorteilsbewusst oder -beladen diese sind. Ihr Fazit: Es ist erschreckend, dass viele Kinderbücher immer noch so voller Vorurteile und Stereotype sind. Für sich hat sie einen Weg gefunden, um damit umzugehen: Sie schreibt sie einfach um und lädt auch andere dazu ein. Und warum auch nicht mal ein Wort durchstreichen und durch ein anderes ersetzen? Oder gar ganze Seiten mit eigenen Erzählungen überkleben?
Unser Fazit
Am Ende des Tages waren sich alle einig: Der Austausch beim Werkstatt-Treffen hat sich gelohnt. Auch wenn die ursprüngliche Referentin Susanne Brandt aus familiären Gründen absagen musste (der Workshop wird nachgeholt!). Wie so oft hatte sich gezeigt, dass die kollektive Kreativität genug Ideen und Inspirationen in den Raum zaubert. Damit freuen wir uns schon auf das nächste Werkstatt-Treffen, das in den Wintermonaten vermutlich online stattfinden wird. Das darauf folgende Werkstatt-Treffen im kommenden Sommer wollen wir dann wieder in Präsenz verwirklichen.
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