Portraitfoto von Kathrin Leuprecht und Pascal Würfel

Audio-Interview: ​Lebendige Werte in der Kita

Wie sieht eigentlich eine Kita aus, in der christliche Werte nicht nur Schlagworte sind, sondern im Alltag gelehrt und gelebt werden? Über »Werte in der Kita« haben wir uns mit Pascal Würfel unterhalten. Er ist Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Neureut-Nord in Karlsruhe und hat zusammen mit Kathrin Leuprecht, Leiterin des Paul-Gerhardt-Kindergartens und dem gesamten Team ein beeindruckendes Projekt zum Thema »Werte« verwirklicht.

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​Warum haben Sie sich in der Paul-Gerhardt-Kita speziell mit Werten beschäftigt?

Pascal Würfel: Wir haben immer wieder gemerkt, dass Eltern ihre Kinder bei uns im Kindergarten anmelden, weil ihnen die christlichen Werte wichtig sind, sie aber zuhause in ihrem Alltag gar nicht so die Gelegenheit haben, explizit darüber zu sprechen oder sie in ihrem Alltag zu integrieren. Deshalb wollten wir die christlichen Werte in die Kita bringen und damit unser evangelisches Profil weiter ausbauen. Wir wollten diese Werte irgendwie aufgreifen. Darum haben wir zunächst einmal unser Kita-Team gefragt »Was sind denn eigentlich die Werte, auf die wir uns berufen? Was ist uns denn im Alltag mit den Kindern wichtig?« So entstand ein Werte-Diamant, den wir nach und nach mit Leben gefüllt haben. Dabei haben wir schnell festgestellt: Das, was uns wichtig ist, leben wir auch schon im Alltag. Wir greifen es nur nicht so oft explizit auf. Darum haben wir uns auf die Suche gemacht und gefragt: Wie können wir diese Werte noch stärker im Alltag integrieren? Wie können wir ihnen noch mehr Raum geben? Im wahrsten Sinne des Wortes.

​Was sind die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung in der Kita selbst?

Pascal Würfel: Wir wollten, dass die Kinder und die Eltern bereits beim Reinkommen in die Kita mit den Werten konfrontiert würden. Allerdings auf eine spielerische und schnell nachvollziehbare Art und Weise. Daher haben wir jedem Raum im Kindergarten einen Wert zugeordnet. Wir arbeiten in unserer Kita mit einem offenen Konzept: wir haben ein Atelier, einen Bewegungsraum, eine Küche, ein Rollenspielzimmer und vieles mehr. Weil wir ein evangelischer Kindergarten sind, haben wir jedem Raum eine biblische Geschichte zugeordnet. Jeder Raum sollte durch seine Struktur und seine Elemente den Kindern zeigen »Guck mal, das ist uns hier besonders wichtig«. Ein Beispiel ist der Wert »Wertschätzung«. Hierfür haben wir zum Beispiel die Geschichte von Josef gewählt. Dann haben wir diese Geschichte über Wandbilder, Raumelemente und anderen Dingen veranschaulicht. So werden die Kinder bereits beim Reinkommen an die Werte erinnert.

Natürlich denken weder die Kinder noch die Erwachsenen nun jeden Tag: »Oh, ich sitze hier im Raum der Dankbarkeit. Jetzt sollte ich dankbar sein«. Aber durch verschiedene Angebote, unter anderem mit externen Kooperationspartnern, versuchen wir immer wieder neue Impulse zu setzen, um die Kinder daran zu erinnern. So ist es uns gelungen und es gelingt uns auch immer noch, die verschiedenen Werte mehr ins Bewusstsein der Kinder zu holen – und später dann auch durch verschiedene Aktionen ins Bewusstsein der Eltern zu bringen.

​Können Sie für diese Impulse konkrete Beispiele nennen?

Pascal Würfel: Ja, ich kann das an der Josefsgeschichte im Rollenspielzimmer festmachen. Die Josefsgeschichte ist eine sehr lange, aber auch sehr spannende Geschichte. Josef wird zunächst von seinen Brüdern als Sklave verkauft. Doch viele Jahre später treffen sie sich wieder und versöhnen sich. Das haben wir zum Anlass genommen, um über das Thema »Wertschätzung« zu sprechen. Wir wollten den Kindern vermitteln, wie wichtig es ist, bei anderen Menschen hinter die Maske zu schauen, einander wahrzunehmen und tolerant zu sein. Dies haben wir darüber hinaus auch in nachhaltigen Projekten umgesetzt. Dabei haben wir uns gefragt: Wen schätzen wir eigentlich wert? Wie schätzen wir unsere Umwelt wert? Wie schätzen wir das wert, was wir jeden Tag haben? Dazu gehören auch Themen wie »Fairer Handel«. In Bezug auf die Umwelt und den Wert der Schöpfung haben wir zum Beispiel eine Müllsammelaktion gemacht, an der auch die Eltern teilnahmen.

Aber wir hatten auch Kooperationspartner. Zum Beispiel eine wunderbare Theaterpädagogin, die uns geholfen hat, die Josefsgeschichte mit den Kindern nachzuspielen. Oder zumindest Teile davon. So kam es im Sommer zu einer Musical-Aufführung in der Kirche. Das ist nur ein Baustein. Aber er zeigt, dass wir versucht haben, nicht nur im Kindergarten zu bleiben, sondern auch die Eltern mitzunehmen. So konnten die Themen vielleicht auch zuhause besprochen werden und die Kinder merkten: Die Werte haben mit ihrem ganzen Leben zu tun und nicht nur mit dem Kindergarten.

​Haben Sie sich auch Ziele gesteckt, wie Sie Ihre Werte in der Kita praktisch umsetzen wollen?

Pascal Würfel: Ja, das ganze Projekt wurde durch die Landesförderung auf Basis des Guten-Kita-Gesetzes ermöglicht. Deshalb mussten wir Meilensteine setzen, die zeigen, dass dieses Geld auch tatsächlich in guter Weise ausgegeben wurde. Ein Meilenstein war zum Beispiel Paul, eine Handpuppe, die wir auf Bibelreise geschickt haben. Er sollte unser Maskottchen sein, sodass die Kinder wussten: Wenn Paul kommt, gibt es wieder eine neue Geschichte! Andere Meilensteine waren, dass wir mit unseren Kooperationspartnern während der 1,5 Jahre, in denen das Projekt lief, nicht nur jeden Raum, sondern auch jeden Monat mit verschiedenen Werte-Projekten gestaltet haben.

Dabei haben wir überlegt: Was passt nun zu diesem Raum? Zum Beispiel sind wir beim Thema »Schöpfung« mit einer Waldpädagogin in den Wald gegangen. Außerdem haben wir mit einer Kunstpädagogin viele Kunstprojekte gemacht, auch in anderen Einrichtungen in unserem Stadtteil. Zum Beispiel sind die Kinder in ein Seniorenheim oder eine Schule gegangen und haben sich dort zusammen mit der Kunstpädagogin, den Senior:innen und Schüler:innen mit einem Wert beschäftigt. Dabei sind ganz tolle Motive entstanden, die wir wiederum in einer Ausstellung einem breiten Publikum zeigen konnten.

Für uns war immer klar: Wir wollen kleine Meilensteine setzen und die Werte auch im Umgang miteinander umsetzen. So sind mehrere kleinere Projekte entstanden, die nach wie vor Bestand haben. Wir wollten aber auch das große Ganze mit in den Blick nehmen. Wir hatten zum Beispiel thematische Elternabende, um daran anzuknüpfen. Bis hin zu der Frage: Wie machen wir das eigentlich in unserem Stadtteil? Hierbei haben wir den Ortschaftsrat mit einbezogen und diesen gefragt: Welche Werte sind euch wichtig? Zudem haben wir uns auf den Marktplatz gestellt und Passant:innen dazu abstimmen lassen. So bestand zumindest die Möglichkeit für alle, die in Neureut wohnen, mit dem Thema immer mal wieder konfrontiert zu werden. Durch die Ausstellung etwa, die Postkartenaktionen oder auch eine Podiumsdiskussion zum Abschluss des Projektes. Mit der Landesbischöfin und Vertretern aus Politik und Wirtschaft haben wir rund 1,5 Stunden konstruktiv miteinander zu der Frage gerungen: »Welche Werte machen unsere Gesellschaft aus?«

Wir haben also vom Kleinen ins Große geschaut und dabei überlegt, wie wir welche Meilensteine so gestalten können, dass das Projekt nicht eine einmalige Sache ist, sondern nachhaltig Wirkung zeigt.

​Das ist das Tolle an diesem Projekt, dass es aus dem Kindergarten hinaus in den ganzen Stadtteil ausstrahlt …

Pascal Würfel: Ja, im Laufe des Projektes nahm das religionspädagogischen Institut unserer Landeskirche mit uns Kontakt. Gemeinsam sind wir nun dabei, ein Buch über das Projekt zu schreiben, ein Arbeitsbuch in gewisser Weise. Denn wir glauben, dass es wirklich sinnvoll ist, die Räume einer Kita noch mehr in den Blick zu nehmen. Die Werte können dabei das evangelische Profil einer Kita stärken – wie bei uns. Werte sind aber nicht religionsgebunden. Wenn ein Kindergarten nicht evangelisch ist, kann er so ein Projekt sicherlich auch auf andere Weise umsetzen.

​Welche Tipps können Sie anderen Kitas geben, Werte in der Kita zu leben?

Pascal Würfel: Es bringt schon sehr viel, wenn man sich einfach auf den Weg macht. Wem Werte wie »Globales Lernen« wichtig sind, der sollte sich auch mal Zeit nehmen, um im Team zu fragen: Was ist mir in meinem erzieherischen Alltag eigentlich wichtig? Worauf kommt es mir an? Das sind Fragen, die sich viele zwischen Sankt Martinsfest und Erntedank gar nicht so stellen können, weil einfach immer so viele andere Dinge auf einen einprasseln. Viele Erzieher:innen müssen erst einmal schauen, wie sie die Kinder trotz Krankenstand adäquat betreuen können und ähnliches. Auch wir haben unserem Team einerseits sehr viel zugemutet. Aber andererseits haben wir ihnen auch hoffentlich etwas dadurch geben können. Nämlich zum Beispiel die Kooperation mit anderen Partnerinnen und Partnern.

Mein Tipp wäre also: Versuchen Sie, sich in dem stressigen Alltag dennoch einen Moment Zeit zu nehmen, um auch mal inhaltlich zurückzuschauen und sich zu fragen: «Worauf kommt es uns eigentlich an?« Es braucht gar kein Budget von 300.000 Euro oder irgendwelche Raumeinbauten. Auch schon mit kleineren Aktionen oder Situationen lassen sich die Dinge verändern. Wer nicht auf das Evangelium aufsetzen möchte, kann auch mit Kinderbüchern Werte beschreiben. Dann könnten Erzieher:innen zum Beispiel einmal pro Monat ein Kinderbuch besonders in den Fokus nehmen. Das heißt, sie lesen es nicht einfach nur, sondern überlegen sich eine spezielle Aktion dazu. Das kann etwas ganz Kleines sein, was nur im Kindergarten stattfindet. Oder auch etwas Größeres zusammen mit den Eltern. So können Erzieher:innen Kindern ganz schnell vermitteln, was Werte in der Kita sind und worauf es dabei ankommt.

Und wenn man sich dann noch Hilfe von Außen mit ins Boot holt – das wäre mein dritter Tipp –, dann kann man manchmal staunen, was so möglich ist. Nicht immer braucht es dafür Geld. Wir haben hier bei uns im Ort zum Beispiel einen Museumsverein mit einem Kunstraum, der sagte: »Natürlich sind wir auch dabei und machen mit – das kostet auch nichts für euch!«

Aber ich habe auch festgestellt, dass manche Eltern bereit und in der Lage sind, für solche Aktionen Geld zu bezahlen. Vor allem, wenn sie merken, dass etwas Wertvolles dahintersteckt. Ein Kinderkochmobil gibt es beispielsweise wohl auch in anderen Städten. Das ist eine tolle Einrichtung. Das kostet natürlich erst einmal Geld. Aber wenn die Kita den Eltern vermittelt, was das Besondere daran ist – oder vielleicht sogar eine Aktion mit den Eltern zusammen daraus macht –, dann sind sie auch bereit, Geld zu geben, wenn sie es haben.

Man muss nicht immer groß denken und planen und ein Jahr Vorlauf haben. Kitas können auch kleine Schritte machen. Das ist zumindest unser Konzept gewesen und das hat sich für uns bewährt. So wollen wir das auch weitermachen.

​Wie geht es bei Ihnen denn jetzt weiter?

Pascal Würfel: Unser Maskottchen Paul sitzt natürlich nach wie vor auf seinen gepackten Koffern und kommt immer wieder mit seinen Geschichten vorbei. Wir haben uns so sieben bis acht Geschichten vorgenommen, die wir immer mal wieder neu betrachten wollen. Die Räume, die den Werten zugeordnet sind, bleiben natürlich und geben den Kindern weiterhin Impulse. Aber es gibt auch Träume, die wir noch nicht umgesetzt haben. Zum Beispiel ein Hörspiel. Eine erste Episode ist bereits eingespielt. Es gibt auch einen Titelsong, der noch auf den letzten Feinschliff wartet. Damit können wir dann zeigen, was so ein Paul auf Bibelreise macht und wie man den in seinen Alltag einbinden kann. Und dann hoffen wir natürlich auch, dass wir die Kooperationen mit den Eltern und unseren Partnern nicht verlieren und uns immer wieder kleine Impulse und Projekte ausdenken können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Paul-Gerhardt-Kindergarten

Das 13-köpfige Kita-Team des Paul-Gerhardt-Kindergartens in Neureut-Nord arbeitet mit einem offenen Konzept: Kinder sollen aufgrund ihrer Stärken in ihrem Lernprozess begleitet werden. Dass dabei Werte eine wichtige Rolle spielen, zeigte das Team unter der Leitung von Kathrin Leuprecht. Weitere Infos finden Sie auf der Werte-Website der Kita (Button unten) oder in diesem YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=Juu27koVV-Y