Heike Kammer ist Menschenrechtspreisträgerin der Stadt Weimar 1999 und setzt sich seit 1980 für die Menschenrechte ein. Als Mitarbeiterin der peace brigades international (pbi) hat sie unter anderem Menschenrechtsaktivist:innen in Kolumbien, Guatemala, El Salvador und Mexiko durch ihre Anwesenheit vor Ort geschützt. Außerdem ist sie Puppenspielerin und aktiv für die Friedenspädagogik. Deshalb freuen wir uns besonders, dass Sie sich heute die Zeit nimmt, um mit uns über die Bedeutung von Frieden, Menschenrechten und Puppentheater in der Kita zu sprechen.
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Die Verteidigung der Menschenrechte ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie kam es dazu?
Heike Kammer: Als junger Mensch wollte ich etwas Sinnvolles tun. Nach der Schule habe ich in der Landwirtschaft gelernt, weil ich wusste: Die Menschen brauchen etwas zu Essen. Dann war ich in Südamerika unterwegs, weil ich dort Verwandtschaft hatte. Dort habe ich schnell gemerkt, dass ich mit Landwirtschaft nichts verändern kann. Die Leute dort wissen besser mit ihrem Land umzugehen, als ich das weiß. Zeitgleich habe ich mitbekommen, dass Menschen ihr Land weggenommen wurde. Leider konnte ich damals zunächst nichts daran ändern. Aber ich lernte Menschen kennen, die sich für ihre Rechte einsetzten. Ich habe mich damals gefragt, wie ich diese Menschen unterstützen kann. Einige Jahre habe ich mich für die Friedensmärsche engagiert. Dann habe ich in Guatemala die Organisation »peace brigades international« (PBI) kennen gelernt.
Das heißt, zunächst lernte ich Menschenrechtsaktivistinnen kennen, die von PBI-Mitarbeitenden begleitet wurden, weil ihr Leben bedroht war. In diesem Augenblick hat es bei mir »Klick« gemacht. Ich merkte: Ich habe einen deutschen Pass. Und es ist zwar eine absolute Ungerechtigkeit, dass das Leben von Menschen aus dem Globalen Norden mehr respektiert wird, als das von Menschen aus dem Globalen Süden. Aber bei PBI nutzen wir diese ungerechte Situation, um die Welt ein bisschen gerechter zu machen. Das heißt, wir begleiten Menschen, die sich – zum Beispiel in Guatemala – für ihre Rechte einsetzen und schützen sie dadurch. Denn zumindest dann, wenn die Täter aus staatlichen Strukturen kommen, wollen sie mit ihren Taten nicht international bekannt werden.
Über peace brigade international
Was waren Erlebnisse und Erfahrungen, die Sie entscheidend geprägt haben?
Heike Kammer: In Guatemala haben wir verschiedene Gruppen und Personen begleitet. Aber was mich besonders geprägt hat war, als uns die katholische Kirche bat, vier Menschen zu begleiten. Diese kamen aus Dörfern, die im Urwald versteckt liegen. Und die Regierung bombardiert sie ständig, da sie bestritt, dass es dort überhaupt Zivilbevölkerung gab.
Deshalb begleiteten wir diese Menschen über viele Monate, 24 Stunden am Tag. Nur so waren sie in der Lage an die Öffentlichkeit und auch an die Weltöffentlichkeit zu gehen. Schließlich konnten sie mit einem Hubschrauber und unter Begleitung von Botschaftern, Kirchenmitarbeitern und der Presse in ihre Heimatdörfer zurückgeflogen werden. Von da an wurden sie nicht mehr bombardiert, weil nun öffentlich war, dass diese Zivilbevölkerung existiert. Das ist ein kleines Beispiel dafür, dass wir manchmal gar nicht viel tun müssen, um Menschen zu ermöglichen, selbst viel zu erreichen.
Bei meiner Arbeit in den Kitas ist es eigentlich auch so: Ich komme mal in die Kita rein und dann bin ich dort für eine Stunde oder einen Tag oder auch mal zwei Tage. Doch die Hauptarbeit liegt natürlich bei dem Personal, das dort täglich ist. Ich bringe jedoch einen Baustein mit, den sie sonst nicht haben.
Wie sind Sie zum Puppentheater gekommen?
Heike Kammer: Das Puppentheater haben wir in Mexiko entwickelt. Denn Schutzbegleitung stößt immer wieder auch auf Grenzen. Und eine der Grenzen, die wir in den Dörfern oft gesehen haben, war, dass die Angriffe oft untereinander stattfanden. Dass Menschen in einem Krieg oft aufeinander aufgehetzt sind. Dann kämpfen sie gegeneinander und misstrauen sich. Und da haben wir Puppentheater gespielt, um die Menschen erst einmal ins Gespräch und dann auch wieder zusammenzubringen.
Dort hatten wir eine große Bühne, die sich auf Erwachsene fokussierte. Aber Kinder sind dort im Lebensalltag einfach überall mit dabei. Und da habe ich bemerkt, dass Kinder mit den Handpuppen noch mal natürlicher umgehen, als die Erwachsenen. Später habe ich das Puppentheater in Deutschland während einer Vortragsreise erst einmal mit einer kleinen Bühne angeboten. Danach habe ich mein Programm für verschiedene Zielgruppen weiter entwickelt.
Welche Themen behandeln Sie mit Ihrem Puppentheater?
Heike Kammer: Die Themen kommen natürlich ein bisschen auf das Alter an. In der Kita fange ich sehr gerne mit dem Thema »Freundschaft« an. Jeder möchte Freunde. Niemand möchte ausgegrenzt werden. Hier geht es darum, den Anderen zu sehen. Zu erkennen, dass ich nicht alleine auf der Welt bin. Dass nicht nur ich Bedürfnisse habe. Andere haben auch Bedürfnisse. Diese Empathie ist bei Kindern ganz schnell da.
Ich benutzte dazu gerne Tiere. Das haben wir auch schon in Mexiko so gemacht. Denn über Fabelwesen lassen sich die Themen noch einmal weniger konfrontativ behandeln. Es sind Tiere und doch zeigen sie menschliches Verhalten. Vor allem die kleinen Kinder lernen noch sehr viel mit dem Herzen. Je älter sie werden, desto mehr wird ihnen antrainiert, mit dem Kopf zu lernen. Doch bei den kleinen Kinder ist das Gefühl viel wichtiger und auch ganz spontan da. Sie verstehen schnell: meine Rechte sind wichtig. Aber es ist auch wichtig, die Rechte der anderen zu sehen.
Mein Puppentheater ist nur ein kleiner Baustein. Damit Kinder lernen, ist es vor allem wichtig, wie die Erziehenden in der Kita im Alltag mit den Kindern weiterarbeiten.
Spielen dabei auch schwierige Themen eine Rolle, wie Krieg und Streit?
Heike Kammer: Ich habe auch ein Theaterstück zum Thema »Streit«. Es heißt »Der Hase im Mond«. Aber das spiele ich vorzugsweise in der Grundschule. In Kitas mache ich das nur, wenn ich zuvor schon ein anderes Stück gezeigt habe und die Kinder mich kennen. Denn in dem Stück wird ein Hase scheinbar erschlagen. Manche Kinder im Kita-Alter kriegen da furchtbare Angst. Außerdem geht es bei dem Stück auch darum, mit den Kindern zusammen Strategien zu entwickeln, wie sich ein Streit beilegen lässt. Solche Strategien können Kinder im Kita-Alter noch nicht entwickeln.
Wer Kinder in der Kita einmal beobachtet, wird feststellen: Sie streiten sich laufend. Werden aber auch ganz schnell wieder Freunde. Sie wissen aber gar nicht, wie sie das gemacht haben. Kinder im Grundschulalter gehen hingegen schon an Strategien heran und fragen sich zum Beispiel: Wie vertragen wir uns wieder? Kann ich beispielsweise eine Geschenk bringen? Oder: Kann ich mich entschuldigen?
Auch das Thema »Umweltschutz« und »Mutter Erde« bringe ich in Kitas nur, wenn die Kinder bereits darauf vorbereitet sind. Das ist zum Beispiel in Waldkindergärten oder Naturkindergärten oft der Fall. Wenn Kinder noch nicht darauf vorbereitet sind, kann es sein, dass sie das Theaterstück überhaupt nicht verstehen. Dann bleibt das für sie einfach nur irgendein Märchen. Das bedeutet: ich schaue immer vorher, wo mein Publikum steht.
Das Thema »Freundschaft« spielt aber in allen Kitas eine Rolle. Ähnlich ist es bei dem Thema »Ernährung«, auch das spielt eigentlich in allen Kitas eine Rolle. Die Kinder wollen lieber etwas Süßes essen, anstatt etwas Gesundes. Genau das thematisiere ich mit meinem Stück »Wackelzahn«. Wichtig ist dabei, dass die Kinder in jedem Theaterstück mit einbezogen werden, und selbst auf Lösungen kommen. Die gebe ich also selbst nicht alle vor. Ich spiele Konflikte vor, für die es einfache Lösungen gibt – aber die Lösungen selbst kommen dann von den Kindern.
Die Referentin: Heike Kammer
Haben Sie Tipps, wie Kitas ein Puppentheaterstück vor- oder nachzubereiten?
Heike Kammer: Das kommt ganz auf das Thema an. Bei dem Thema »Freundschaft« können die Erzieher:innen immer wieder darauf zurückgreifen, wenn so eine Situation entsteht – und sie entsteht in jeder Kita regelmäßig. Beim Thema »Umwelt« sollten die Kitas zuvor mit den Kindern darüber gesprochen haben. Und in der Nachbereitung bietet es sich an, mit den Kindern rauszugehen. Es macht natürlich einen Unterschied, ob sich eine Kita in der Großstadt oder auf dem Land befindet. Oder ein Wald-Kindergarten hat natürlich noch viel mehr Möglichkeiten, vieles zu entdecken.
Was ich gerne in Kitas machen ist, dass wir gemeinsam nach dem Theaterstück Handpuppen basteln. Ideal sind dazu Gruppen so um die 20 Kinder. Dann basteln die Kinder in Gruppen von zwei bis fünf Personen gemeinsam die Handpuppen. Wenn es wenige Kinder sind, können sie diese nähen. Wenn es mehr Kinder pro Gruppe sind, verwende ich den Heißkleber. Denn das muss schnell gehen, damit die Kinder nicht das Interesse verlieren und sich langweilen.
Dann sieht man die Kindern anschließend mit ihrer Handpuppe umher rennen und spielen. Schon in der Kita möchten Kinder gerne auch selbst etwas vorspielen. Aber ich habe noch nicht raus, wie in dem Alter dabei schon ganze Stücke entstehen. Und vielleicht muss das auch noch gar nicht sein. Denn in dem Alter ist für Kinder das Spielen noch nicht »Vorzeigen«.
Spannend ist auch, dass die Kinder auch eine richtige Beziehung zu ihrer Puppe aufbauen. Das hilft ihnen teilweise auch, um über die Puppe ins Sprechen zu kommen. Die meisten wollen ihre Puppe mit nach Hause nehmen. Aber die Erziehenden können sie natürlich schon auffordern, sie an einem bestimmten Tag wieder mit in die Kita zu bringen. Dann können die Kinder im Morgenkreis auch mal die Puppen sprechen lassen. Oder man fragt die Kinder, was sie tun, damit es ihren Puppen gut geht. Es gibt viele Möglichkeiten, um ein Puppentheaterstück in der Kita nachzuarbeiten.
Liebe Heike Kammer, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre wertvolle Arbeit für die Zukunft!
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