Wie lässt sich Globales Lernen ganz praktisch im Kita-Alltag verankern? Susanne Schubert ist Vorstand von Innowego-Forum Bildung & Nachhaltigkeit eG sowie Mitglied im Bündnis Zukunftsbildung. Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des Forum Frühkindliche Bildung der Nationalen Plattform BNE und hat als solche den »Referenzrahmen für die frühkindliche Bildung zu BNE« mit entwickelt. Wir sprachen mit ihr darüber, wie BNE und Globales Lernen ganz praktisch im Kita-Alltag verankern können – und warum das wichtig ist!
Alle Links auf einen Blick
1.) Der Referenzrahmen für die frühkindliche Bildung zu BNE: https://www.bne-portal.de/SharedDocs/Publikationen/de/bne/referenzrahmen-fuer-die-fruehkindliche-bildung.html
2.) Nationaler Aktionsplan: https://www.bne-portal.de/bne/de/nationaler-aktionsplan/nationaler-aktionsplan.html
3.) Whole Institution Approach / Kita 360 Grad: https://kita-global.de/der-whole-institution-approach-beim-globalen-lernen/
Was bedeutet Globales Lernen und in welcher Verbindung steht es zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)?
Susanne Schubert: Globales Lernen ist ein Teil von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Wir stehen weltweit vor großen Herausforderungen, wie der Klimakrise, dem Artensterben oder der Ressourcenknappheit. Da geht es nicht nur um politische und wirtschaftliche Fragen, sondern auch darum, diesen Themen in der Bildungsarbeit einen Rahmen zu geben, damit sich Kinder damit auseinandersetzen können.
Zu BNE und Globalem Lernen gehört, dass Menschen lernen, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, die Perspektive zu wechseln und auch zu gucken: Was hat mein Handeln eigentlich mit dem von anderen Menschen zu tun? Hier, aber auch woanders in der Welt? Es geht darum zu verstehen, dass ich Dinge verändern kann. Dass ich mich beteiligen kann und Einfluss nehmen kann. Und dass ich mich auf den Weg machen und über das Mensch-Natur-Verhältnis nachdenken kann.
Wieso gehört Globales Lernen in die Kita?
Susanne Schubert: Man könnte natürlich sagen, dass Kinder für derartige Themen noch zu klein sind. Und das ist in Teilen ja auch richtig, denn bestimmte Fähigkeiten erwerben sie erst nach und nach. Zum Beispiel ist da die Notwendigkeit für mehr Nachhaltigkeit in längeren Zeiträumen zu denken. Das ist sehr komplex und überfordert ja sogar uns Erwachsene, wenn wir mal ehrlich sind. Für Kinder ist es noch viel schwieriger, lange Zeiträume zu überschauen oder die Komplexität der globalen Probleme und Zusammenhänge zu verstehen.
Gleichzeitig wachsen sie aber eben in dieser Welt auf. Das heißt, sie sind von all diesen Themen betroffen. Bei Bildung geht es auch darum, Kinder handlungsfähig zu machen, sodass sie sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und dem eigenen Leben beteiligen können. Und dazu gehören natürlich auch Fragen einer nachhaltigen Entwicklung. Deshalb sind solche Themen und Fragen bereits im Elementarbereich wichtig. Die eigentliche Frage ist deshalb: Wie kann ich diese Themen so gestalten, dass sie für die Kinder sinnhaft sind?
Werkstatt-Treffen mit Susanne Schubert
Gute Frage: Wie sieht sinnhaftes Globale Lernen aus?
Susanne Schubert: Kinder bringen dazu ihre eigenen Themen und Fragen mit in die Kita. Die Überflutung des Ahrtals hat letztes Jahr zum Beispiel viele Menschen in Deutschland und darüber hinaus bewegt. Das haben natürlich auch die Kinder mitbekommen. Sie hatten Fragen und vielleicht auch Ängste. Auf solche Weise kommen Themen wie Klimawandel durch die Kinder in die Kitas. Es hilft ihnen, wenn Erziehende dies aufgreifen und ihnen Zugänge ermöglichen, durch die sie sich als handlungsfähig erleben. So steckt BNE und Globales Lernen im Alltag jeder Kita. Globales Lernen und BNE müssen Erziehende mit den Kindern im Alltag leben.
Dabei gibt es ganz viele Möglichkeiten, um Aspekte des Globalen Lernens und der BNE kindgerecht im Alltag erlebbar zu machen. Und mit »kindgerecht« meine ich nicht, dass wir alles für die Kinder neu konstruieren. Ich meine damit, dass die Kinder dies ernsthaft im Alltag erleben. Denn wenn die Kinder diese Themen nur in konstruierten, pädagogischen Situationen erfahren (in denen es eigentlich total egal ist, wie sie handeln, weil das Ergebnis schon vorher feststeht), dann ist es für Kinder auch nicht unbedingt eine ernsthafte Erfahrung. Anders ist das, wenn Erziehende Themen des Alltags bewusst unter dieser Perspektive angehen. Etwa, wenn sie sich bei der Beschaffung zusammen mit den Kindern fragen, welche Einkaufskriterien wichtig sind – und dann mit den Kindern zusammen abwägen und entscheiden.
Wie sind BNE und Globales Lernen strukturell in der Bildung verankert?
Susanne Schubert: Da gibt es zum einen die globale und internationale Ebene mit den sogenannten Sustainable Development Goals (SDG) und der Agenda 2030. Hierbei haben sich alle Länder der Welt für eine nachhaltige Entwicklung in verschiedenen Feldern verpflichtet. Die einzelnen Ziele haben verschiedene Fokusrichtungen. Allerdings würde ich mich in unserem Fall nicht auf das SDG #4 »Bildung für alle« beschränken. BNE und Globales Lernen verläuft quer durch alle 17 Nachhaltigkeitsziele. Also etwa auch um »Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen« (#12) oder »Sofortmaßnahmen ergreifen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen« (#13) und anderes.
Daraus entstanden ist das Weltaktionsprogramm. Es besagt, dass bis 2030 weltweit entscheidende Fortschritte erzielt werden sollen. Hier lässt sich der nationale Prozess einsortieren: es gibt einen bundesweiten »Nationalen Aktionsplan für BNE«. Dieser ist sogar schon vor dem Start des Weltaktionsprogramms »Agenda 2030« entstanden, weil es auch schon Vorläuferprogramme bei der UNESCO dazu gab. Im »Nationale Aktionsplan für BNE« gibt es auch einen Bereich zur frühkindlichen Bildung.
Sustainable Development Goals
Was sieht der Nationale Aktionsplan für den Elementarbereich vor?
Susanne Schubert: Der Nationale Aktionsplan formuliert für den frühkindlichen Bereich fünf Felder. Das erste Feld sind die Bildungspläne. Das bedeutet, dass BNE und Globales Lernen noch stärker in den Bildungsplänen verankert werden soll. Das zweite Feld ist, dass BNE als institutioneller Auftrag noch stärker etabliert wird. Das dritte Feld ist die Aus- und Weiterbildung, also dass die Pädagog:innen ihre Kompetenzen zu BNE und Globalem Lernen erweitern. Das vierte Feld ist der Praxisbezug. Also: wie kann es gelingen, dass BNE die Basis allen professionellen Handelns in den Einrichtungen ist? Und das fünfte Feld umfasst den Auftrag für die Kitas, Vernetzungsstrukturen zu informellen und formellen Bildungsorten aufzubauen.
Zusammengefasst geht es in den fünf Feldern darum, dass BNE und Globales Lernen nicht als etwas angesehen wird, was sozusagen noch »on top« oben auf die ohnehin schon viele Arbeit drauf kommt. Sondern dass diese Teil des Alltages sind und zwar verbindlich. Wenn ich dazu zum Beispiel mal bei den Bildungsplänen bleibe, dann ist hier BNE zwar schon in vielen Teilen verankert – aber an unterschiedlichen Stellen. Manchmal ist es als Querschnittsthema eher eine Randnotiz. Manchmal wird es der ökologischen Bildung zugeordnet und taucht dort zum Teil »unter ferner liefen« auf. Natürlich ist es gut, dass es diese Ansatzpunkte überhaupt gibt. Es wäre aber natürlich wünschenswert, dass BNE und Globales Lernen gestärkt werden und die Bildungsarbeit nicht auf ökologische Bildung beschränkt bleibt. Diese Themen berühren letztlich alle Bildungsbereiche. Deshalb müssen sie auch einen entsprechenden Raum bekommen.
Was versteht man unter dem »Whole Institution Approach« und wieso ist er für Globales Lernen in der Kita wichtig?
Susanne Schubert: Der »Whole Institution Approach« zielt darauf ab, dass die Kita als Einrichtung insgesamt zu Nachhaltigkeitsfragen aufgestellt ist. Also dass sich eine Kita nicht nur mit einem einzelnen Projekt zu Globalem Lernen oder fairem Spielzeug beschäftigt, sondern dass Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit Teil des Alltages sind. Dazu muss eine Kita ihren Betrieb in den Blick nehmen und sich fragen: Woher kommt etwa die Energie für unsere Kita? Wie sind wir bei der Beschaffung aufgestellt? Wie kaufen wir ein? Welche Beschaffungskriterien gelten bei uns?
Diese Überlegungen sollen die gesamte Einrichtung betreffen: etwa die Beziehung zu den Eltern, die Beschaffung, das Kochen und natürlich auch die Bildungsarbeit selbst. Diese Reflexionen, Überlegungen und Ziele sollten in der Kita schriftlich verankert werden. Die Umsetzung ist natürlich wichtig. Es ist aber auch wichtig, sich immer mal wieder Zeit zu nehmen und zu fragen: Wo stehen wir eigentlich? Was funktioniert? Wo gibt es Schwierigkeiten? Und was hat sich überholt?
Interview-Tipp: Öko-faire Beschaffung in der Kita
Sie haben den »Referenzrahmen für frühkindliche Bildung zu BNE« mit entwickelt. Welches Ziel verfolgt er?
Susanne Schubert: Wir wollen damit vermitteln, dass BNE und Globales Lernen nicht einfach nur Projekte sind, die man einmal durchführt und damit hat sich das erledigt. Vielmehr müssen sie strukturell in der Kita verankert werden. Ein Faktor, wie das gelingen kann kann, ist das Qualitätsmanagement (QM). Alle Kitas müssen QM-Systeme für ihre Einrichtungen entwickeln. Dazu gibt es meist einen Rahmen mit einem Fragenkatalog, mit dem eine Kita ihre Prozesse und Standards beschreiben kann.
Der »Referenzrahmen zur frühkindlichen Bildung zu BNE« knüpft genau dort an und arbeitet mit dieser Systematik. Damit ist er letztlich eine Hilfestellung, wie Kitas BNE und Globales Lernen in ihrem Qualitätsmanagement verankern und ihr System prüfen können. Auf diese Weise müssen Kitas nicht alles neu erfinden. Sie können einfach das Bestehende erweitern.
QM-Systeme sind in der Regel so aufgebaut, dass sie Prozesse, Bausteine, Anforderungen und Praxisindikatoren enthalten. An diese Systematik orientiert sich »Referenzrahmen zur frühkindlichen Bildung zu BNE«. Zum Beispiel können Kitas prüfen, wie sie BNE in ihren »Führungs- oder Kernprozessen« aufgreifen können. Sie können also die gestaffelten Beispiel-Indikatoren oder -Anforderungen aus dem Referenzrahmen als Grundlage für ihr Team verwenden. Dazu ein Beispiel für einen Führungsprozess:
Da heißt es etwa in einer Anforderungen, dass BNE und nachhaltige Prozessentwicklung in die Kita gehören. Leitend ist dabei der ganzheitliche Ansatz von BNE und der Whole Institution Approach, über den wir gerade schon kurz geredet haben. Als Praxisindikatoren gibt es unter anderem »Wissen die Kita-Leitung und alle Mitarbeitenden, was BNE bedeutet?« Das ist natürlich grundlegend. Hier kann eine Kita dann prüfen: Wo stehen wir eigentlich? Was haben wir schon in der Konzeption festgehalten? Wo brauchen wir aber doch noch eine Nachschärfung? Zur Überprüfung muss ich wissen, was getan wird, damit sich Mitarbeitende mit diesen Themen auseinander setzen.
Ein zweites Beispiel ist der Kernprozess »Bildungsangebote«. Die Anforderung dazu lautet: »Die Bildungsangebote sind so gestaltet, dass sie den Anforderungen der BNE entsprechen« Darüber hinaus gibt es verschiedene Praxis-Indikatoren, die eine Hilfestellung für die Reflexion geben. Einer ist zum Beispiel »Werden in den Bildungsangeboten gesellschaftliche Themen erörtert, die in einem unmittelbaren Bezug zum Konzept der BNE stehen?« oder »Wird es Kindern ermöglicht, sich mit zukunftsrelevanten Themen auseinander zu setzen, wie etwa sauberes Wasser, Energie, Gerechtigkeit oder Konsum?«. Das heißt der Referenzrahmen gibt nicht vor, wie ich Globales Lernen und BNE in einer Kita verankern soll. Er gibt aber an, welche Fragen dazu beantwortet werden müssen.
Wie kann man den Prozess im Team begleiten?
Susanne Schubert: Dazu entwickeln wir außer dem Referenzrahmen – was im Prinzip ein kleines Heftchen ist, in dem die Praxisindikatoren stehen – gerade noch ein weiteres Material, das Teams dabei unterstützt, sich längerfristig damit auseinanderzusetzen und einzubringen. Dazu erarbeiten wir ein Spielkarten-Set. Daraus können sich Teams regelmäßig eine Karte ziehen und finden dann unterschiedliche Fragen vor. So können sie etwa besprechen, wo sie stehen oder was sie sich neu vornehmen möchten.
Zum Beispiel gibt es darunter eine Karte mit der Aufgabe, für sich eine Karte zu entwickeln, die zeigt, wo die Kita bereits mit Akteuren der Nachhaltigkeit vernetzt ist. Oder welche Nachhaltigkeitsangebote es im Umfeld der Kita gibt. Das können beispielsweise Tauschschränke und ähnliches sein. Das Ziel ist es, sich bewusst zu machen, was es schon gibt. Und erst dann zu überlegen: Wo möchten wir vielleicht auch noch hin?
Was sind gute ersten Schritte mit dem Referenzrahmen, um Globales Lernen in der Kita zu verankern?
Susanne Schubert: Ganz entscheidend ist, dass man sich erst einmal damit beschäftigt, was man überhaupt schon macht. Vielleicht sind das auch Sachen, die man sich nicht unbedingt unter der Perspektive der Nachhaltigkeit angeschaut hat. Oder es gibt Dinge, die schon in Richtung »Nachhaltigkeit« weisen, aber so für sich genommen noch zu kurz greifen. Viele Einrichtungen trennen beispielsweise ihren Müll. Das ist gut. Aber mit einer Nachhaltigkeitsbrille betrachtet, kann man noch ein Stück weitergehen und versuchen, Müll zu vermeiden. Dann stellen sich Fragen wie: Wie vermeide ich Abfall? Wie etabliere ich Kreisläufe und Kreislaufdenken in unserer Kita? Was kann ich leihen oder reparieren? Und vieles mehr.
Deshalb sollte sich eine Kita am Anfang immer erst einmal im Team hinsetzen und schauen: Wo stehen wir? Und das Ergebnis sichtbar machen. Erst dann geht es darum, sich weitere Ziele zu stecken. Dabei können Kitas auch gucken, ob die Kinder noch Ideen haben oder deren Familien. Gemeinsam können sie sich fragen: Was ist schon da und was sind Felder, die noch brach liegen? Wirklich hilfreich ist auch der Austausch mit anderen Kitas. Dadurch bekommt eine Kita Bestätigung für die Dinge, die sie bereit gut macht – aber auch neue Ideen. Die neuen Ziele sollte die Kita dann priorisieren, denn niemand kann sich alles auf einmal zumuten.
Liebe Frau Schubert, vielen Dank für das Gespräch!
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