Globales Lernen kann bereits im Elementarbereich Brücken schaffen zwischen Kulturen, Nationalitäten, Sprachen, Gebräuchen und Religionen – wenn die Projekte aus der Lebenswirklichkeit der Kinder kommen. Ein Interview mit Dr. Christa Preissing von der Internationalen Akademie Berlin für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie am Institut für den Situationsansatz, Berlin.
Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, schon im Elementarbereich Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zu praktizieren?
Alle Bildungsprozesse wurzeln in der frühen Kindheit, also auch das Globale Lernen und die BNE. Beide Konzepte treffen zentrale Kerne unseres Bildungsverständnisses. Sie begreifen Bildung als einen sozialen Prozess mit dem Ziel, zentrale Probleme und Fragen unserer Zeit im Sinne von mehr Gerechtigkeit zu bearbeiten und neue Lösungen zu finden.
Globales Lernen und BNE setzen dabei auf die prinzipielle Bereitschaft und die vielfältigen Möglichkeiten aller Menschen, ihre je spezifischen Herausforderungen mit den eigenen Herzen, Händen und Köpfen zu bewältigen.
Kinder im Kindergartenalter sind da absolute Könner. Ihr Interesse an der Meinung anderer und ihre Streitlust sind in kaum einem anderen Entwicklungsalter so ausgeprägt. Gerechtigkeit und Fairness, Freundschaft und Feindschaft, Gut und Böse sind zentrale Themen bei fast allen Kindern.
Wieso ist der Situationsansatz dabei so wichtig?
Bildung im Situationsansatz dient dazu, die Welt nicht nur zu verstehen, sondern aktiv mitzugestalten. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit grundlegenden Werten eine wichtige Rolle: In welche Richtung und warum wollen wir die Welt verändern?
Nach dem Pädagogen John Dewey geht es bei einem Lern- und Lehrprojekt immer um die Suche nach der Lösung eines realen Problems. Und es geht ihm um die verstehende Aktivierung der Lebenserfahrungen der Lernenden.
Doch heute wird alles Mögliche als Projekt bezeichnet. In der Kita-Landschaft finden sich Projekte wie »Die Farbe Blau«, »Dinosaurier«, »Wasser« und, und, und. Hier bleibt zunächst völlig unklar, welche gesellschaftliche und in der Lebenswirklichkeit von Kindern erlebte Frage solche Projekte beantworten wollen.
Wie unterstützt Globales Lernen den Situationsansatz?
Globales Lernen und BNE unterstützen die Anliegen des Situationsansatzes in einem ganz zentralen Punkt: Im Situationsansatz sprechen wir davon, Schlüsselsituationen im Leben der Kinder zum Gegenstand von Projekten zu machen. Schlüsselsituationen sind Erlebnisse und Erfahrungen von Kindern, die prägend sind für ihre weitere Entwicklung.
Sie können aus der Erfahrungswelt der Kinder kommen. Die PädagogInnen müssen sie anhand von Analysen der gesellschaftlichen Entwicklungen identifizieren, die das Aufwachsen von Kindern in unserer Zeit beeinflussen. Es reicht deshalb nicht zu erkunden, welche Interessen und Themen die Kinder selbst äußern. Denn sie können sich ja nur für das interessieren, was sie bereits in ihrem – notwendig begrenzten – Horizont erlebt haben.
Es geht ebenso darum sich zu vergegenwärtigen, welche zentralen Fragen, Probleme, Herausforderungen und vor allem welche Chancen in den Zukunftsentwürfen der Kinder und ihren Realisierungsmöglichkeiten in ihrer jeweiligen Gesellschaft liegen.
Wie können ErzieherInnen eine angemessene Konfrontation der Kinder mit Armut und Ungerechtigkeit umsetzen? Welche Kompetenzen zur Weltoffenheit des einzelnen Kindes können sie besonders anregen?
Kinder werden dabei immer Verbindungen zu ihren eigenen Erfahrungen mit »arm« und »reich«, »fair« und »gemein« herstellen. Sie können bei solchen Auseinandersetzungen lernen, dass ihre eigenen Rechte nur gelten, wenn auch sie die Rechte aller anderen anerkennen. Es ist nicht zu früh, bereits im Kindergarten die Menschenrechte und speziell die Kinderrechte zu einem durchgehenden Thema zu machen.
Dabei geht es nicht um einmalige, befristete Projekte. Es geht vielmehr darum, bei vielfältigen Gelegenheiten im Alltag immer wieder diese Rechte zu thematisieren und zu zeigen, dass sie für alle Menschen und Kinder gelten – ganz gleich wo und wie sie leben. Dies schließt ein, darüber nachzudenken, warum diese Rechte für bestimmte Gruppen bereits selbstverständlich Realität sind und für andere nicht.
Dies ist eine der grundlegenden Kompetenzen: Die eigenen Rechte und die der anderen kennen und achten. Sie korrespondiert mit dem Ziel, jedes Kind in seiner Ich-Identität und in seiner Bezugsgruppen-Identität zu stärken.
Wie können ErzieherInnen damit umgehen, wenn Kinder mit Ängsten, Unsicherheiten oder gar Abwehr auf Menschen reagieren, die »anders« sind?
Sie sollten aktiv Begegnungen mit Vielfalt eröffnen. So bekommen Kinder die Möglichkeit zu erfahren, dass Menschen, die vielleicht anders aussehen, anders leben, eine andere Sprache sprechen oder eine andere Religion praktizieren, doch dieselben Grundbedürfnisse und Grundgefühle haben, wie sie selbst.
Dies ist eine weitere grundlegende Kompetenz: Eine neugierige und fragende Grundhaltung demgegenüber zu entwickeln, was »anders« und »fremd« erscheint – und im »Anderen« und »Fremden« das Gemeinsame zu entdecken. Sie korrespondiert mit zwei Zielen des Globalen Lernens:
- Allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt zu ermöglichen und so kritisches Denken über Vorurteile, Einseitigkeiten und Diskriminierung anzuregen.
- Widerstand gegen Vorurteile und Diskriminierung zu ermutigen.
Recherchen der PädagogInnen in ihrem Umfeld werden verschiedene Gelegenheiten zeigen. So zum Beispiel geschehen in einer Dorf-Kita in Brandenburg, die die PädagogInnen für Kinder und Eltern aus dem Flüchtlingsheim öffneten.
Die Kita wurde in diesem Fall in einem längeren und durchaus von vielen kontroversen Diskussionen begleiteten Prozess zu einem Ort der Verbindung zwischen den Bewohnern des Flüchtlingsheims und der Dorfbevölkerung. Kinder konnten hier erleben, dass sie selbst gemeinsam mit ihren ErzieherInnen und Eltern in der Lage sind, aktiv gegen Diskriminierung einzutreten.
Darauf aufbauend können ErzieherInnen dann auch konkrete Überlegungen anstellen, was Kinder und die mit ihnen lebenden Erwachsenen tun können, um gegen Vorurteile und Ausgrenzung aktiv zu werden.
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