Essen in der Kita ist ein wichtiges Thema. Denn die Mahlzeiten schaffen Struktur und verbinden sehr viele Bereiche miteinander. Kita-Global sprach mit der Diplom-Ökotrophologin Costanza Müller über Ernährungsgewohnheiten, Rituale und die Wahl kraftspendender, köstlicher Lebensmittel.
Welche Bedeutung hat Essen in der Kita?
Costanza Müller: Ernährung ist ein Bildungsauftrag in der pädagogischen Arbeit. Somit ist es wichtig, sich im Team mit dem Thema auseinanderzusetzen und für die Kita einheitliche Maßstäbe zu erarbeiten, die alle gemeinsam leben und tragen.
Essen in der Kita strukturiert den Tagesablauf: Es gibt Mahlzeiten morgens, vormittags, mittags, nachmittags und abends. Je nach dem, wie lange sich die Kinder in der Kita aufhalten, ist das ein ganz wichtiger Punkt für den Tagesablauf. Pädgog*innen haben dabei eine ganz wichtige Aufgabe.
Unsere Ernährungsgewohnheiten prägen sich schon ganz früh in unserer Kindheit aus. Das hat lebenslang Einfluss auf uns. Essen fördert zum Beispiel soziale Prozesse und motorische Fähigkeiten. Es ist der Grundstein für unsere körperliche und psychische Gesundheit. Je nährstoffreicher und kraftgebender wir essen, desto lieber bewegen wir uns. Geschmackliche und kommunikative Erlebnisse speichern wir im Stammhirn. Das wiederum fördert die gesamte Entwicklung.
Zudem können Pädagog*innen über das Essen ganz viele Werte vermitteln und ein sehr sinnliches Erlebnis schaffen. Kurz und gut: Essen schafft zu ganz vielen Bereichen unseres Lebens eine Verbindung.
Mit welchen Fragen kommen die Kitas zu Ihnen? Wo liegen die Probleme?
Costanza Müller: Die Anfragen sind vielfältig. Zum einen sind es Hospitationen mit Fragestellungen wie: „Wie laufen die Mahlzeiten aus Sicht des Qualitätsstandards Ernährung ab?“ und „Was können wir im Alltag verbessern?“ Zum andern sind es konkrete Fragen an die Atmosphäre. Etwa wie Pädagog*innen die Kinder dazu bringen Mittag zu essen.
Oder wie sie eine ruhige, angenehme Atmosphäre schaffen können. Und auch, wie sie Kinder dafür begeistern, mehr „Gesundes“ zu essen. Oder überhaupt die Frage, welche Lebensmittel für Kinder gut sind und wie die Pädagog*innen den Kindern dieses Wissen vermitteln können. Und noch vieles mehr.
Dabei muss ich sagen, dass ich die Begriffe „gesund“ und „ungesund“ unglücklich finde. Ich arbeite lieber mit Begriffen wie „kraftgebend“ oder „nährstoffreich“. Denn „gesund“ und „ungesund“ teilen Essen in Schwarz und Weiß ein. Es ist jedoch aus meiner Sicht schwierig, Lebensmittel in zwei feste Schubladen einzuordnen.
Wie schaffen Erzieher*innen einen guten Rahmen für das Essen?
Costanza Müller: In dem Wort „Mahlzeit“ stecken das Essen und die Zeit. Die Mahlzeit sollte also eine bestimmte Zeit bekommen. Das ist der Rahmen. Die Esssituation und die Speise selbst sind Beziehungsarbeit.
Der zeitliche Rahmen hat in den letzten Jahren abgenommen. Dabei ist es wichtig, sich genügend Zeit für das Essen in der Kita zu nehmen. Während der Mahlzeit nehmen wir nicht nur Nahrung zu uns. Die ganze Umgebung und alles, was mit dem Essen zusammenhängt, weckt in den Kindern Emotionen. Hier ist die positive Verankerung wichtig.
Die Kinder werden sowohl von Speis und Trank als auch von der Atmosphäre gesättigt. Eine angenehme Atmosphäre erreichen Sie unter anderem durch Ruhe, Aufmerksamkeit und Konzentration aufs Essen. Auch durch die Art der verbalen und körperlichen Sprache, die Wahl der Gesprächsthemen oder die Sitzordnung. Gibt es hier Dissonanzen, können Kinder hungrig bleiben, körperlich oder emotional. Zudem können Erzieher*innen Rituale schaffen. Etwa für den Beginn und das Ende von Mahlzeiten.
Welche Rolle spielt die Kommunikation beim Essen in der Kita?
Costanza Müller: Auch die Art der Kommunikation sowie das Thema trägt zum Rahmen bei. In Ruhe miteinander sprechen ist ganz wichtig. Dabei können die Kinder sprachliche Fähigkeiten und soziale Kompetenzen erwerben. Pädagog*innen sollten die Themen bewusst aussuchen und positiv gestalten. Zum Beispiel über die Wertschöpfungskette der Lebensmittel. Die Kinder sollten sich und ihre Nahrung in diesen Gesprächen wertschätzen.
Ganz wichtig ist, die Kinder in einer Esssituation nicht zu konditionieren. Natürlich gibt es eine positive Konditionierung, zum Beispiel durch Rituale. Das ist gut und gibt Struktur. Negative Konditionierungen, wie Zwang, Bestrafungen, Verbote oder Belohnungen sollten Pädagog*innen aber nicht mit dem Essen verbinden.
Wie wichtig sind biologische und lokale Lebensmittel?
Costanza Müller: Kitas sollten mehr und mehr Biolebensmittel anbieten. Nicht unbedingt, weil diese womöglich gesünder sind. Sondern vor allem, weil ihre Erzeugung ressourcenschonender ist. Hier geht es um die Bewahrung der Schöpfung. Etwa um den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und allem, was wir Menschen zum Leben brauchen.
Essen in der Kita ist eine wunderbare Gelegenheit, um Kindern dies auf allen Ebenen zuzutragen. Das gelingt über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg: Kinder können einen Bauernhof besuchen. Oder sie ziehen im Kita-Garten Gemüse und Kräuter. Auf diese Weise lernen Kinder, dass Lebensmittel ihre Zeit zum Wachsen brauchen. Dass es Mühe macht, sie großzuziehen. Dass man die Pflanzen pflegen und viel Liebe reinstecken muss, bis man sie ernten kann.
Beim Verarbeiten und Kochen erleben Kinder, wie viele verschiedene Speisen aus einem Lebensmittel hergestellt werden können. Ja, und dass sich „lecker“ und „gesund“ nicht ausschließen. Ich bevorzuge die Worte „nährstoffreich“ und „köstlich“.
Mit älteren Kindern gestalte ich gerne einen Saisonkalender. So sehen sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben: Wann wächst denn was? Heutzutage können wir eigentlich alle Lebensmittel zu allen Jahreszeiten kaufen. Als ich Kind war gab es Erdbeeren nur im Juni/Juli. Dann gab es recht viel davon und danach musste man wieder ein Jahr warten. Diese Vorfreude kennen Kinder heute nicht mehr. Ich finde das schade.
Welche Rolle spielt der Globale Aspekt in Ihrer Arbeit?
Costanza Müller: In Kitas gibt es mittlerweile viele unterschiedliche Kulturen. Andere Esskulturen kennenzulernen ist sehr bereichernd. Essen verbindet. Und das Wissen darum beantwortet auch so manche Alltagsfragen zu Lebensmittel und Essgewohnheiten:
Warum hat ein Kind zum Beispiel kein Vollkornbrot in seiner Frühstücks-Brotdose? Welche Alternative gibt es zum Vollkornbrot? In solchen ernährungsbildenden Projekten können Kinder lernen, welche Kultur welche Grundnahrungsmittel hat, was diese zum Wachsen brauchen oder was und wie die Menschen einer Kultur essen.
Bei diesem Blick über den Tellerrand können Kinder und Pädagog*innen sehr viel voneinander und miteinander lernen. Ziel ist es, Lösungen auf Fragen zu finden, die verbinden und eine positive Basis schaffen.
Also doch auch Lebensmittel aus anderen Ländern und Kontinenten?
Costanza Müller: In der Ausbildung der Pädagog*innen plädiere ich dafür, die Lebensmittelkunde über die Ernährungspyramide hinaus zu berücksichtigen. Die sogenannten „Superfoods“ sind da ein gutes Beispiel. Unter diesem Stichwort werden hierzulande zum Beispiel Quinoa, Amarant und anderes beworben. Aufgrund des Nährstoffreichtums werden sie das Wunderkorn der Inkas genannt. Sie sind ein Grundnahrungsmittel in Südamerika und für uns ganz wunderbar, wenn Kinder eine Weizenallergie oder Gluten-Unverträglichkeit haben.
Doch Pädagog*innen sollten sich auch die Hintergründe bewusst machen: Was ist gerecht? Müssen wir diese Lebensmittel um die halbe Welt schicken? Ist das ökologisch sinnvoll? Oder haben wir hier – gleich in unserer Nähe – etwas vergleichbar Gutes? Es geht mir dabei nicht darum, solche Superfoods und anderes abzulehnen. Ich setze mich nur für eine bewusste und reflektierte Entscheidung ein.
Wie wichtig sind die Essgewohnheiten der Pädagog*innen?
Costanza Müller: Die Essgewohnheiten der Pädagog*innen sind sehr wichtig. Kinder haben ganz feine Antennen. Sie merken, wenn Pädagog*innen etwas kommunizieren, was nicht mit ihrem Verhalten im Einklang steht und nicht wirklich von Herzen kommt.
Das wiederum hängt mit den Erfahrungen, Werten und Prägungen zusammen, die die Pädagog*innen selbst in ihrer Kindheit mitbekommen haben. Beim Thema Mahlzeiten ist dann eine professionelle Haltung im Sinne des Bildungsauftrags gefragt. Je nach Prägung ist das für manche ganz einfach. Sie pflegen bereits eine eigene nährstoffreiche und Kraft gebende Ernährung als Basis, die Liebe zu Lebensmitteln und bereiten ihre Mahlzeiten gerne selbst zu. Andere leben da in Konflikten. Sie denken dann „och, so ein Kinderjoghurt oder Stück Kuchen ist doch okay“. Diese Kinderjoghurts gehören für mich zu der Kategorie „Süßigkeiten“. Beim Kuchen kommt es auf die Inhaltsstoffe und die Rezeptur an.
Da Pädagog*innen nach den Eltern als Bezugsgruppe großen Einfluss auf Kinder haben, sollten sie in der Kita konsequent sein und wirklich den Bildungsauftrag leben. Mit einer authentischen Haltung, mit Freude, Verbundenheit und dem Hintergrundwissen zum Kind sowie zur Speise. Mit spielerischem Gestalten und Reflexion (Worum geht es genau in dieser Situation?) ist der Spagat zwischen Gelassenheit und Konsequenz zu schaffen.
Wie können sich Pädagog*innen ihre Prägungen bewusst machen?
Costanza Müller: Zuerst natürlich durch die individuelle Reflexion: Welche Essgewohnheiten habe ich eigentlich und aus welchem Grund? Dann durch den Austausch zu konkreten Situationen und indem das Team eine gemeinsame Linie findet. Zudem gibt es Vorgaben der Kita-Leitung und Erwartungen der Eltern.
Hier braucht es vor allem Transparenz: Wer hat welchen Anteil mit welchen Konflikten und welchen Stärken? Wie kann ich eigene, innere Konflikte lösen? Wie können wir die Konflikte im Team lösen? Wie passt das mit den Vorgaben der Leitung zusammen? Und wie können wir die Eltern mit einbinden?
Essen ist Emotion. Essen ist Beziehung. Essen ist Orientierung.
Und wie können sich Kinder mit einbringen?
Costanza Müller: Partizipation auf mehreren Ebenen und mit allen Sinnen ist hier unheimlich wichtig. Kinder sollten sowohl den Speiseplan und/oder die Essensauswahl mit beeinflussen, als auch die Gestaltung der Esssituationen. Kitas, die selbst kochen, sind hier flexibler. Caterer können das nur in begrenztem Maße erfüllen.
Ernährungsbildungsprojekte in jeglicher Form – wie ich sie oben beschrieben habe oder in Experimenten – fördern zudem die Auseinandersetzung mit dem Thema auf spielerische Art und Weise. Auch hier können Kinder Ideen mit einbringen. Die Begeisterung für ein Thema tragen Kinder dann zu ihren Eltern.
Pädagog*innen versetzen das Kind in die Lage mitzuentscheiden, zu erfahren, eine Haltung zu entwickeln. Das bedeutet, es gibt mehrere Wege, um einem Kind ein gutes Essverhalten vorzuleben.
Wie ist es mit scheinbaren „Problemfällen“?
Costanza Müller: Das gilt auch bei scheinbaren „Problemfällen“. Etwa, wenn Kinder eine zeitlang sehr wenig essen wollen oder immer nur das Gleiche. Dann ist es gut, wenn Erzieher*innen schauen, was dahinter steckt. Oft gibt es dafür ganz andere Beweggründe. Dann ist zu beobachten, wann die Kinder eigentlich essen.
Von Eltern höre ich immer wieder „Mein Kind isst gar nichts“. Wenn ich dann genauer nachfrage, isst das Kind schon eine ganze Menge – aber zwischendurch und nicht am Tisch. Hier gilt es zuerst beobachtend zu forschen, das eigene Verhalten zu reflektieren und schließlich Lösungen zu finden um die Situation insgesamt zu verändern.
Kinder machen außerdem verschiedene Entwicklungsphasen durch. Diese zeigen sich auch im Essverhalten. Das kennen wir auch von uns selbst. Empfehlenswert ist auch in diesem Fall erst einmal genau hinzuschauen, um den Grund zu erkennen. Liegt dahinter ein Trotzverhalten, ein Schutzbedürfnis oder ist es einfach nur Neugier und Experimentierfreude. Letztere sollten Kinder ab und zu auch ausleben dürfen.
Es gilt also die Ernährungsempfehlungen an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen, ohne die Basis zu verlassen. Oder anders formuliert: Mit Konsequenz die Basis verfolgen, mit Gelassenheit Ausnahmen zulassen. Gemeinsam mit Freude den Weg finden und authentisch vorleben. Essen und Ess-Verhalten gut vorzuleben ist daher für alle eine kreative Gradwanderung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Costanza Müller
Foto: Image by Andrzej Rembowski from Pixabay
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