Erzieher*innen berichten aus aller Welt: Südkorea

Wie sieht der Alltag in einer Kita in anderen Ländern oder gar Kontinenten aus? Welchen Herausforderungen stehen die Erzieher*innen gegenüber? Welche Sichtweisen, Erfahrungen und Visionen haben sie? In unserer neuen Serie sprechen wir mit Erzieher*innen aus aller Welt. Den Anfang macht die 28-jährige Erzieherin Hwa Sin Song aus Bu-cheon in Südkorea.

Wie sieht Ihre Kindertagesstätte aus?

Im Allgemeinen sind die Kitas in Südkorea nach Altersgruppen gestaffelt. Die gesetzlichen Bestimmungen sehen vor, dass ein*e Erzieher*in je nach Altersstufe drei (0-1 Jahre), fünf (1 Jahr), sieben (2 Jahre), 15 (3 Jahre) oder zwanzig (ab 4 Jahren) Kinder betreut. Die meisten Kindergärten sind nach dieser Regelung aufgebaut. In der Shinhanil-Kita ist die Zahl der Kinder pro Erzieher*in jedoch geringer. Außerdem vermischen sich die Altersgruppen bei uns stärker.

Die Shinhanil-Kita ist ein betrieblicher Kindergarten der Firma Hanil Electric, den die Kinder der Belegschaft während der Arbeitszeiten ihrer Eltern besuchen. Dem entsprechend haben wir von 8 Uhr morgens bis 19:30 Uhr abends geöffnet. Die meisten Kinder kommen um 8:30 Uhr morgens und gehen um 18:30 Uhr nach dem Feierabend der Eltern. Unter den Familien der Kindergartenkinder gibt es eine multikulturelle Familie und eine Familie mit geschiedenen Eltern – die übrigen Kinder leben mit beiden Elternteilen zusammen.

Wie sieht der Alltag in Ihrer Kita aus? Welche Abläufe gibt es?

Aktuell betreue ich die einjährigen Kleinstkinder. Während der Freizeit vormittags von 9:30 Uhr bis 10:50 Uhr spiele ich mit den Kindern. Dabei beobachte ich ihre Bewegungen und ihren Gesundheitszustand. Nach der Freizeit haben wir ein Gruppentreffen und bilden einen Sitzkreis. Bei Kerzenlicht haben wir eine ruhige Entspannungszeit, in der wir gemeinsam singen oder über wichtige Tages- oder Wochenereignisse sprechen.

Bei den 3- bis 5-Jährigen achten wir darauf, den Kindern einen geordneten Tagesablauf nahezubringen und grundlegende Werte zu vermitteln. Wir Erzieher*innen unterstützen die Kinder dabei, möglichst selbstständig zu handeln und versuchen dafür auch Vorbild zu sein.

Auch Ideen?

Kennen Sie einen Erzieher oder eine Erzieherin aus einem anderen Land? Dann schreiben Sie uns und stellen Sie den Kontakt her – wir freuen uns, ein Interview mit ihm oder ihr zu machen!

Zum Beispiel achten wir darauf, dass die Kinder beim Essen nicht zu wählerisch sind, sondern sich ausgewogen ernähren, ohne von vorne herein etwas abzulehnen. Regelmäßiges Zähneputzen ist uns ebenso wichtig, wie dass die älteren Kinder die jüngeren bei Spaziergängen an die Hand nehmen und sich selbstständige die Jacken und Schuhe an- und ausziehen.

Gibt es eine Konzeption in Ihrer Kita? Welche Aspekte sind Ihnen besonders wichtig?

Das südkoreanische Bildungsministerium hat einen allgemein einheitlichen Ausbildungskatalog konzipiert, um in allen Kindergärten ein möglichst einheitliches Ausbildungsniveau zu etablieren. Für Kleinstkinder (0 bis 2 Jahre) und Kleinkinder (3 bis 5 Jahre) gibt es einheitliche Vorgaben, die eine Grundlage für alle Kindergärten und Kitas bilden.

Im Gegensatz zu anderen südkoreanischen Kindergärten orientiert sich unsere Kita zudem aber auch an der deutschen Waldorfpädagogik. Dabei halte ich die Art der Spielzeuge für sehr wichtig. In unseren Räumen findet man überwiegend Spielzeuge aus Naturmaterialien, die in der Waldorfpädagogik benutzt werden – zum Beispiel Holzblöcke, Steine, Samen oder Stoffe.

Viele herkömmliche Spielzeuge geben den Kindern vor, wie sie mit ihnen spielen sollen und bieten wenig Raum für Kreativität. Spielzeuge aus natürlichen Materialien können die Kindern mal als Telefon, mal als Geschenk, als Blumen, als Essen oder als Bezahlmittel und vieles mehr verwenden. Das regt die Fantasie und Kreativität der Kinder an und ermuntert sie, sich in verschiedenen Spielformen auszuprobieren.

Für die Kinder in diesem Alter ist das Spielen sehr wichtig. Je nach dem, mit was sich die Kinder beschäftigen, verändert sich auch ihre Wahrnehmung. Die Kinder lernen spielerisch und nehmen so Zusammenhänge und Abläufe ihrer Umgebung wahr.

Was möchten Sie persönlich den Kindern weitergeben?

In der heutigen Zeit sind Liebe und Vertrauen das Wichtigste für die Kinder. Im Alter von 0 bis 3 Jahren gehören die körperliche und emotionale Entwicklung eines Kindes zu den wesentlichen Merkmalen des Wachstums. In dieser Phase entwickeln die Kinder ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihrer Hauptbezugsperson. Auf dieser Basis gewinnen sie eine innere Sicherheit. Und durch spielerische Mittel können sie sich körperlich und emotional weiterentwickeln.

Als Betreuerin der einjährigen Kinder – die in erster Linie die Fürsorge und Liebe ihrer Eltern brauchen – sehe ich, wie schwierig es für die Kinder ist, jeden Tag so lange in der Kita zu sein. Hinzu kommt, dass sie keine eins-zu-eins-Beziehung mit mir als Betreuerin haben. Sie sind immer mit mehreren Kindern zusammen, was für manche eine emotionale Stresssituation darstellt.

Aus diesem Grund achte ich bei der Pflege und Betreuung der Kinder besonders auf die körperliche Nähe. Das bedeutet, dass ich die Kinder oft in den Arm nehme und ihnen so das Gefühl von Liebe, Wärme und Geborgenheit vermittle. In einer Phase, in der die Kinder vieles Ausprobieren und Fehler machen, ist zudem ein verständnisvolles Aufmuntern ein wichtiger Ausdruck der Liebe und die beste Unterstützung.

Die heranwachsenden Kinder werden nicht alles in Erinnerung behalten, was sie im Kindergarten erlebt haben. Aber das Gefühl von Geborgenheit und Wärme werden sie nicht vergessen.

Wie ist Ihre Beziehung zu den Eltern der Kinder?

Ich tausche mich morgens und abends mit den Eltern aus, wenn sie ihre Kinder abgeben und abholen. Dann sprechen wir über die Gesundheit der Kinder und über familiäre Ereignisse zu Hause. Es ist zwar eine kurze Zeit, aber durch den täglichen persönlichen Austausch entwickle ich auch eine verstrauensvolle Beziehung  zu den Eltern.

Außerdem pflege ich ein Austausch-Tagebuch, das ich mit den Eltern täglich tausche: Die Eltern schreiben dort bestimmte Vorkommnisse in der Familie hinein und ich dokumentiere Dinge, die in der Kita passieren. So ergänzen wir die kurzen Gesprächszeiten und können einander mitteilen, was im Gespräch zu kurz gekommen ist.

Daneben können alle Betreuer Fotos von den Spielaktivitäten in einen Online-Blog stellen, die sich die Eltern anschauen und kommentieren können. So haben wir eine weitere Plattform für den Austausch.

Und schließlich haben wir jedes Jahr zwei feste Gesprächstermine mit den Eltern. In diesen Gesprächen erläutern die Eltern ihre Sicht auf die Kindererziehung und berichten über das Verhalten ihrer Kinder zu Hause. Die Eltern nutzen die Gelegenheit, um Fragen zur Entwicklung ihrer Kinder zu stellen. Wir sprechen dann offen über ihre charakteristischen Verhaltensweisen.

Da für die Kinder eine konsistente und beständige Haltung sehr wichtig ist, versuchen wir durch den Austausch eine gemeinsame Linie zwischen Elternhaus und Kita zu finden.

Gibt es Kinder unterschiedlicher Religionen oder Konfessionen in Ihrer Kita?

Bei uns gibt es Kinder mit konfessionslosem, evangelischem, katholischem und buddhistischem Hintergrund. Die Fünfjährigen akzeptieren ihre Unterschiedlichkeit – auch in Bezug auf ihre Konfession. In Gesprächen stellen die Kinder sie sich gegenseitig vor.

Außerdem fassen wir uns vor dem Essen an den Händen und beten. Das ist ein Ausdruck der Dankbarkeit an die Natur und Gott. Einer der Väter wollte nicht, dass seinem Kind das Beten zu einem Gott beigebracht wird. Ich habe ihm erklärt, dass dies nicht als religiöses Ritual gemeint ist, sondern dazu dient, den Kindern Dankbarkeit zur vermitteln. Das konnte der Vater dann verstehen.

Was für eine Ausbildung haben Sie?

Ich habe an der Theologischen Universität Seoul (Fakultät für Kindererziehung und Pädagogik) acht Semester studiert. Während dieser Zeit habe ich ein einmonatiges Praktikum in einem Kindergarten absolviert. Meine Studienschwerpunkte waren Kindererziehung und Kindesentwicklung.

Das Praktikum fand ich etwas zu kurz, da ich nur wenige Aspekte des Arbeitsalltags mitbekam, bevor ich ins Berufsleben startete. Es gibt einige Erzieher*innen, die nach dem Berufseinstieg nicht so gut mit dem Übergang von Theorie zur Praxis zurechtkommen und dann ihren Beruf aufgeben. Ein einjähriges Praktikum, wie meins in Deutschland, würde da helfen.

Während meiner Arbeit in der Kita habe ich vom “Zentrum zur Förderung der Anthroposophie in Korea” eine fünf-semestrige Fortbildung an der „Freien Fachschule für Sozialpädagogik – Waldorfkindergarten Seminar“ erhalten. Im Rahmen dieser Fortbildung habe ich ein einwöchiges Praktikum im Waldorfkindergarten Sonnenberg in Stuttgart absolviert.

Wird der Beruf der Erzieherin / des Erziehers in Südkorea geschätzt?

Bedauerlicherweise finde ich, dass der Beruf des/r Erzieher*in in meinem Land nicht sehr anerkannt ist. In Südkorea kann man entweder über ein vierjähriges Studium an der Universität, eine zwei- bis dreijährige Ausbildung an einer Fachhochschule oder eine einjährige Ausbildung Erzieher*in werden.

Ich habe mich für das vierjährige Studium entschieden und mir viele Gedanken über meine berufliche Zukunft gemacht. Die meisten Leute denken aber, dass die Ausbildung zur Erzieherin ein einfacher Werdegang ist. Dies ist mit ein Grund, warum der Beruf im Allgemeinen wenig Wertschätzung findet.

Die Zahl der vollerwerbstätigen Familien steigt in Südkorea aufgrund des Wirtschaftswachstums – und damit wächst auch der Bedarf an Kitas. Oberstes Ziel dieser Einrichtungen ist es aus Sicht vieler, die arbeitenden Eltern zu entlasten – die Kita soll die Eltern also teilweise ersetzen. Viele Kindergärten gehen komplett auf die Vorstellungen und Wünsche der Eltern ein, sodass die Erzieher*innen immer mehr in deren Auftrag arbeiten.

Je länger die Kinder jedoch in der Kita sind, desto mehr Aufgaben und auch Verantwortung übernehmen die Erzieher*innen. Dennoch gibt es wenige Aufstiegsmöglichkeiten und das Einkommen bleibt auf einem sehr niedrigen Niveau.

Anfang 2015 wurde in Südkorea ein Missbrauchsfall in einem Kindergarten bekannt. Die Regierung reagierte darauf und verabschiedete ein Gesetz zum Schutz vor Missbrauch. Deshalb ist seit Dezember 2015 in allen Kindergartenräumen eine Videoüberwachung Pflicht. Dies verletzt jedoch die Zivilrechte aller Erzieher*innen und beeinträchtigt das Vertrauensverhältnis zu den Eltern erheblich. Dennoch setzte die Regierung die Überwachungsvorschrift durch – und stellte damit alle Erzieher*innen unter Generalverdacht und Videobeobachtung.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Beruf?

Ich finde, der Beruf des Erziehers oder der Erzieherin ist für jede Gesellschaft ein sehr wichtiger Beruf. In Korea sagt man: „Kinder sind unsere Zukunft“. Sie wachsen auf und tragen die Verantwortung für die kommenden Generationen. Ihre allererste Umgebung ist die Familie – und gleich danach kommt der Kindergarten.

Ich denke, die Erlebnisse und Gefühle von Kinder bis fünf Jahren sind die Grundlage für ihre Wert- und Weltanschauung. Deswegen haben in der Familie die Eltern und im Kindergarten die ErzieherInnen einen wichtigen Einfluss.

Aus dieser Perspektive betrachtet habe ich eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die die künftigen Generationen mitgestaltet. Darüber hinaus wird mir mein Beruf für die eigene Kindererziehung eine gute Grundlage geben. Deshalb bin ich dankbar und zufrieden mit meinem Beruf als Erzieherin.

Wie sagen DANKE!

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Hwa Sin Son für das Beantworten unserer Fragen! Für die Übersertzung ins Deutsche und die Kontaktaufnahme mit Hwa Sin bedanken wir uns bei Jaemie Sitzmann aus Kaiserslautern.