Globale Ernährungsbildung sollte in allen Kitas eine Rolle spielen. Denn die Ernährung ist wichtig: Für unsere eigene Gesundheit – und für das Wohlergehen des gesamten Planeten. Edith Timm ist Projektleiterin von „Bis auf den letzten Krümel – Ein Bildungsprojekt für Lebensmittelwertschätzung und Abfallvermeidung in Berliner Kitas“. Im Gespräch berichtete sie über das, was Erziehende tun können, um mit der richtigen Ernährung etwas für das Klima, die Biodiversität, die globale Gerechtigkeit und den eigenen Genuss und die Lebensfreude zu tun.
Worum geht es beim Kita-Projekt „Bis auf den letzten Krümel“?
Edith Timm: Es geht um Bildung für eine nachhaltige Ernährung für Vorschulkinder, Erziehende und Eltern. Unser Fokus liegt dabei auf die ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit. Es geht um Themen wie „Lebensmittel und gesundheitsförderliche Ernährung“, „Lebensmittelverschwendung“, „Der Wert unserer Nahrung“ und „Kompostierung“ als Abschluss und Antwort auf die Frage: Was passiert denn mit den Lebensmitteln, wenn eben doch am Ende Reste bleiben?
Welches Ziel verfolgt das Projekt für globale Ernährungsbildung?
Edith Timm: Unser Ziel ist es vor allem, den Kindern spielerisch ein Bewusstsein mitzugeben für den Wert unserer Lebensmittel. Kinder bekommen das mitunter das erste Mal in der Kita vermittelt. Natürlich sollte das Thema im Laufe ihres Lebens immer wieder eine Rolle spielen. Aber der spielerische Input bereits im Kita-Alter ist wichtig. So können die Kinder für sich selbst und die Umwelt eine Wirksamkeit erfahren und lernen, wie sie ihre Zukunft wirkungsvoll mitgestalten können. Das ist ja auch das Ziel von Bildung für Nachhaltige Entwickelung (BNE), die auch unsere Grundlage ist.
Wie können Kitas bei der globalen Ernährungsbildung mitmachen?
Edith Timm: Wir geben Berliner Kitas eine Materialkiste an die Hand. Darin gibt es unter anderem ein umfassendes Handbuch inklusive Aktionsplan, der die Erziehenden durch das Projekt führt. Denn uns ist klar: Die Erziehenden müssen die Ernährungsbildung in ihrem ohnehin vollen Arbeitsalltag bewältigen können. Mit unseren Materialien können sie sich gemeinsam mit den Kindern mit dem Thema beschäftigen und werden so nach und nach zu Expert:innen.
Wir selbst setzen insgesamt zehn Wochen für die Aktionen der so genannten Krümelkiste an. Allerdings können die Kitas das Projekt auch in ihrem eigenen Tempo umsetzen. Die eine Kita macht vielleicht einmal in der Woche einen Projekttag dazu. Die andere Kita nimmt das Thema hingegen dreimal in der Woche in der Ausruhzeit auf, wenn die jüngeren Kinder schlafen. Die einen machen eine aufwendige Exkursion in eine Getreidemühle oder zu einem Bio-Bauernhof. Die anderen gehen „nur“ um die Ecke in einen Nachbarschaftsgarten oder den Kita-Garten.
Das ist also sehr unterschiedlich und das ist auch unser Wunsch. Wir haben dazu das Angebot modular aufgebaut. So lässt es sich an den jeweiligen Kita-Alltag adaptieren.
Was ist mit Kitas außerhalb von Berlin?
Edith Timm: Die Kiste ist derzeit leider nur in Berlin erhältlich. Wir versuchen gerade, eine Förderung zu bekommen, damit wir auch bundesweit versenden können. Aber es gibt die Krümelkiste auch digital. Wir nennen sie die „Digitale Krümelkiste“:
- Digitale Krümelkiste: https://www.restlos-gluecklich.berlin/kitaprojekt/digitalekruemelkiste
- Handbuch: https://www.restlos-gluecklich.berlin/wp-content/uploads/2022/03/2022-Kitaprojekt_Handbuch.pdf
- Krümel-Kit (Newsletter): https://www.restlos-gluecklich.berlin/kitaprojekt/newsletter
- Rezepte: https://www.restlos-gluecklich.berlin/kitaprojekt/rezepte
Mithilfe des Handbuchs können Erziehende das Projekt komplett selbständig umsetzen. Sie können aber auch nur Teile realisieren. Wir haben die Materialien bewusst so gebündelt, dass Erziehende sagen können: „Wir wollen das Thema ‚Lebensmittelverschwendung‘ bei uns aufgreifen“. Dann können sie sich mit genau diesem Themengebiet beschäftigen.
Welche Aktionsideen enthält die Krümelkiste?
Edith Timm: Zum Einstieg gibt es zum Beispiel einen Lebensmittelbaum, der der Ernährungspyramide der Bundeszentrale für Ernährung (BFZE) nachempfunden ist. Der lässt sich ausdrucken und mit den Kindern ausschneiden, um sich mit dem Thema „gesunde Ernährung“ zu beschäftigen. Zum Beispiel können die Erziehenden zusammen mit den Kindern dann die Lebensmittelgruppen einer Mahlzeit anhand des Baumes unter die Lupe nehmen.
Dann kommt das wichtige Thema „Lebensmittelverschwendung“ und „Lebensmittelwertschätzung“. Weil es zu dieser Thematik damals noch kein Buch für Kinder im Vorschulalter gab, haben wir selbst eines geschrieben. Dabei handelt es sich um die Geschichte von Benja und Wuse, den „Essensrettern auf großer Mission“. Das Buch bekommt man mit der Krümelkiste ausgeliehen. Man kann es sich aber auch beim oekom Verlag kaufen. Und dieses Buch ist das Kernstück für die Aktionen rund um das Thema „Lebensmittelwertschätzung“. Am Ende der Geschichte erleben wir regelmäßig, dass die Kinder Wuse mit unterstützen und ebenfalls Lebensmittel retten wollen. Dazu gibt es eine kleine Bastelvorlage, die die Kinder ausschneiden und mit auf ihre eigenen Rettungstouren nehmen können.
Außerdem empfehlen wir den Kitas, zum kleinen Bäcker um die Ecke zu gehen und dort Brötchen zu retten. Viele Bäcker erzählen dann auch gerne etwas dazu: Warum bleiben überhaupt Brötchen übrig?
Ein weiteres Beispiel ist das Memo-Spiel zu krummem und geradem Gemüse. Das können Kita-Mitarbeitende in einem Copy-Shop auch auf Pappe drucken lassen. Dabei lässt sich wunderbar die Verbindung zum Thema „Vielfalt“ herstellen: Wir haben auch mal blaue Flecken oder Kratzer, sind deswegen aber nicht schlecht. Genauso ist es mit einem Apfel, der eine braune Stelle hat. Wir sind alle verschieden. Wir sehen alle unterschiedlich aus. Aber darum geht es auch nicht. Und viele Erziehende erzählen uns, dass Kinder dabei das erste Mal in ihrem Leben so krumme Lebensmittel zu sehen bekommen. Die meisten Supermärkte führen diese ja gar nicht.
Dann kann die Kita mit den Kindern zum Beispiel einen Retter:innen-Smoothie machen und dabei bewusst eine richtig braune Banane verwenden. Das zeigt: niemand muss matschiges oder schrumpeliges Obst essen. Aber wir können gemeinsam kreativ werden und Ideen entwickeln, wie wir aus Lebensmitteln noch etwas machen können, die niemand so mehr mag. Da gibt es auf unserer Website auch viele Rezeptideen – gerade um älteres Obst und Gemüse noch weiterzuverarbeiten. Aber auch, um Obst und Gemüse von der Wurzel bis zum Blatt komplett zu verwenden.
Warum braucht es globale Ernährungsbildung in Kitas?
Edith Timm: Eine bundesweite Studie hat gezeigt, dass das Thema „Ernährungsbildung“ in der Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte eine zu geringe Rolle spielt. Wir haben den Eindruck, dass es in vielen Kindertagesstätten kein Grundwissen zur Ernährungsbildung gibt, gleichzeitig aber ein großes Interesse daran besteht, das Thema mit der Vorschulgruppe im Kita-Alltag umzusetzen. Somit werden im Zweifel Handlungs- und Denkweisen zum Thema Ernährung an die Kinder weitergegeben, die auch der globalen Situation angesichts des Klimawandels nicht gerecht werden.
Denn nur wenn wir mit den Jüngsten in unserer Gesellschaft anfangen, können wir eine Veränderung bewirken. Wir müssen darüber reden. Das passiert in vielen Elternhäusern auch nicht. Daher hat die Kita aus unserer Sicht hier einen Bildungsauftrag. Mit der Krümelkiste können Erziehende auch ohne Vorwissen – das ist uns ganz wichtig – eine global nachhaltige Ernährungsbildung in der Kita umsetzen. Man braucht also keine Weiterbildung oder ähnliches. Die Erziehenden kriegen mit unseren Materialien das Basiswissen an die Hand, das sie für den Einstieg brauchen. Zur Vertiefung erhalten sie viele weiterführende Links.
Warum ist Ernährung auch ein globales Thema?
Edith Timm: Der WWF hat festgestellt, dass unsere Ernährung 70 Prozent des Wassers weltweit verbraucht. Außerdem ist es für ungefähr ein Viertel aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Ernährung ist also ein bedeutender Faktor, wenn es um Klimaschutz geht. Deshalb brauchen wir eine globale Ernährungsbildung.
Zudem beeinflusst unser Ernährungssystem die Biodiversität. Die Wissenschaft bezeichnet es als das sechste große Artensterben der Erdgeschichte, in dem wir uns befinden. Hier müssen wir etwas verändern. Etwa, indem wir den Einsatz von Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft drastisch redukzieren. Oder indem wir Konsument:innen Bio-Lebensmittel kaufen. Dazu müssten wir unser Ernährungssystem grundlegend umstrukturieren.
Und schließlich müssen wir den Prozess der globalen Entwaldung stoppen. Viele Wälder müssen weichen, um das Futter für die Tierhaltung anzubauen. Das wirkt sich doppelt negativ aus: Es fördert den Klimawandel, weil es keine Wälder mehr gibt, die Kohlenstoff speichern könnten. Und es sterben Tiere, vielleicht sogar ganze Tierarten aus, weil ihr Lebensraum zerstört wird.
Euer Schwerpunkt ist der Stopp der Lebensmittelverschwendung. Welche globale Bedeutung hat das?
Edith Timm: Ja, die Verschwendung von Lebensmitteln zu verhindern ist uns ein großes Anliegen. Zumal die Lebensmittelverschwendung hier bei uns in den Industrieländern in einem gewaltigen Ausmaß stattfindet – während in anderen Teilen der Welt Menschen hungern oder sogar verhungern.
Hier finden wir den Ansatz der Planetary Health Diet sehr spannend. Wissenschaftler:innen haben dabei einen Speiseplan entwickelt, der die Gesundheit von Menschen und Planet gleichermaßen schützen soll. Demnach müsste sich der Konsum von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen ungefähr verdoppeln. Unser Verzehr von Fleisch und Zucker sollte sich dagegen halbieren. Daran gibt es auch Kritik und uns ist klar, dass sich solch eine Diät nicht von heute auf morgen umsetzen lässt. Aber wir finden die Idee als Orientierung gut.
Wie hängen Ernährung und globale Gerechtigkeit zusammen?
Edith Timm: Das ist ein komplexes Thema, das ich hier nicht erschöpfend beantworten kann. Aber zum Beispiel ist klar, dass wir die Ackerflächen, die wir zum Anbau für Tierfutter brauchen, nicht nur im eigenen Land zur Verfügung stellen können. Das heißt, wir gehen in andere, meist ärmere Länder. Dort wird dann für unseren luxuriösen Lebensmittelkonsum die Grundlage geschaffen, während die Menschen vor Ort nicht genug für ihre Ernährung haben.
Ähnlich sieht es mit Wasser aus: In Gegenden, in denen es Wasserknappheit gibt, darf das kostbare Gut nicht für den Anbau von Viehfutter oder anderer Luxuslebensmittel wie etwa Kaffee verwendet werden. Solche Schräglagen finde ich absolut nicht in Ordnung und auch nicht nachhaltig. Denn dass wir unseren Lebensmittelüberschuss nicht einfach dorthin geben können, wo Menschen hungern, ist natürlich hochdramatisch. Da brauchen wir politische Lösungen für veränderte Rahmenbedingungen unseres globalen Ernährungssystems: Alle Menschen müssen in die Lage versetzt werden, in ihrer Region die Lebensmittel anzubauen, die sie brauchen. Es kann nicht sein, dass wir hier nur deshalb so leben können, weil Menschen in anderen Ländern arm sind und sogar hungern.
Vielen Dank für das Gespräch!
„Bis auf den letzten Krümel“
Tipps für eine nachhaltige Ernährung in der Kita
• Bevorzugen Sie Bio-Produkte
• Favorisieren Sie faire Produkte
• Reduzieren Sie die Lebensmittelverschwendung
• Nutzen Sie Ihre Rolle als Vorbildfunktion und prägen Sie früh ein Bewusstsein für einen wertschätzendes Lebensmittelkonsum
Weitere Tipps, Ideen und Informationen dazu gibt es auf der Website.
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