Der Liedermacher Reinhard Horn steht seit über 45 Jahren auf der Bühne und begeistert Kinder und Erwachsene mit seiner Musik. Im Interview spricht er über die Bedeutung von Musik und Gesang schon für die Kleinsten.
Als seine Kinder in das Alter kamen, in dem er mit ihnen gemeinsam sang, entschloss sich Reinhard Horn, sich ganz dem Genre Kinderlieder zu widmen. Die Frage, die ihn dabei umtreibt ist: Wie können wir die Liederschatztruhe in jungen Jahren so anfüllen, dass sie ein Leben lang reicht? Das hat auch viel mit Globalem Lernen und Bildung für Nachhaltige Entwicklung zu tun, wie unser Gespräch mit Reinhard Horn zeigt.
Wieso ist Singen, Musik und Tanz so wichtig in der Kita?
Geschichten und Lieder sind für mich der Schlüssel zur Welt. Mein Hauptsatz ist: Gute Geschichten und gute Lieder sind so etwas wie Seelenproviant für Kinder. Es ist etwas, was wir im Laufe unseres Lebens gut gebrauchen können – neben Rechnen, Schreiben und all den anderen Dingen, die natürlich sicherlich dazu gehören.
Ich bin seit ein paar Jahren Botschafter der singenden Krankenhäuser. Dabei singen wir gemeinsam mit Langzeitpatienten – denn Singen unterstützt den Heilungsprozess. Gemeinsam mit Eckhard von Hirschhausen unterstütze ich diese Idee. Ja, und ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich bei einer Singstunde erlebe, welche Lust und Freude auf das Gesicht zum Beispiel von Demenzpatienten zurückkehrt, wenn sie Lieder aus ihrer Kindheit singen. Da spürt man auf einmal: Das ist in der Tat Seelenproviant. Oder wie ich gerne sage: Das ist unsere innere Schatztruhe.
Und gerade in den ersten Lebensjahren gehören in diese Schatztruhe ganz viel gute Geschichten und gute Lieder hinein. Und wenn ich zum Beispiel Themen wie Integration oder aufeinander zugehen mit einer guten Geschichte und mit guten Liedern verbinde, dann ist das Globales Lernen im weitesten Sinne.
Das heißt Lieder wirken auf einer ganz intuitiven und tiefliegenden Ebene?
Ja, und auch einer ganz nachhaltigen. Weil die Kinder diese Lieder eben nicht nur einmal singen, sondern immer wieder. Und dadurch bekommen sie natürlich eine ganz andere Nähe zu den Themen.
Und wie kann man Musik und Singen im Globalen Lernen nutzen?
Also Singen und Geschichten eignen sich eigentlich für alle Themen. Und damit auch für Themen des Globalen Lernens. Zum Beispiel ist es hierbei toll, wenn Kinder Lieder aus anderen Kulturen lernen oder erfahren können, wie reich und bunt diese Welt ist. Manchmal haben wir ja beim Globalen Lernen diesen Mitleidsblick auf andere: Diese armen Kinder in der „dritten Welt“ …
Wenn ich aber mit Musik und Geschichten Kindern die verschiedenen Kulturen näherbringe, dann verändert sich auch mein Blick. Ich spüre wie kulturell reich diese Menschen sind. Ich erlebe, wie sie trotz ihrer schwierigen Situation ihre Welt gestalten. Und ich erfahre, dass ich Lernender bin. Zum Beispiel, dass ich lerne, wie Menschen in anderen Kulturen ihr Leben in die Hand nehmen und gestalten.
Oft können Menschen aus anderen Kulturen viel leichter gemeinsam ein Lied singen, das allgemeines Kulturgut ist, als wir Deutschen…
Ja, das stimmt. Da fällt uns dann vielleicht noch ein „Die Gedanken sind frei“. Wir fangen mit der ersten Strophe an und schon stolpern wir, wenn es um die zweite Strophe geht.
In der Tat ist es wichtig, wie in unseren Kindergärten gesungen wird. Mein großer Wunsch ist, dass es keinen Tag geben darf, an dem in den Kindergärten nicht ein Lied mit den Kindern gesungen wird – aus welchen Gründen auch immer oder auch einfach nur so zwischendurch.
Und meine Hoffnung wäre, dass die Kinder im Kindergarten fünf Lieder so lernen, dass sie wirklich zu ihnen gehören. Und in der Grundschule lernen sie noch mal fünf Lieder. Dann haben wir ja immerhin schon mal zehn Lieder in der inneren Schatztruhe, die sie das ganze Leben lang zur Verfügung haben.
Wie schätzen Sie das ein: Wird in den Kitas jeden Tag gesungen?
Ich merke in den letzten Jahren, dass das Interesse und die Bereitschaft dazu wachsen. Wir hatten eine Durststrecke, wo viele Kinder – im Bild gesprochen – „sang und klanglos“ aufgewachsen sind. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Gott sei Dank! Das kommt natürlich auch durch viele Erkenntnisse, die wir aus der Hirnforschung und der Neurobiologie haben. Sie zeigen, wie wesentlich Musik und Bewegung für Kinder und ihre Entwicklung sind. Deshalb bin ich so froh, dass es so viele Erzieher*innen gibt, die das aufgreifen und zum Teil ihrer Arbeit machen.
Eines Ihrer Stücke ist das Kita-Musical „Fremde werden Freunde“ – worum geht es da?
In dem Musical für Kindergärten oder Kitas geht es um das Thema Integration. Die Geschichte ist ganz leicht erzählt:
Es gibt Kinder im Gelbland und Kinder im Blauland. Im Gelbland und Blauland ist es wunderschön, doch leider gibt es im Gelbland Krieg. Die Kinder aus Gelbland müssen fliehen und kommen so nach Blauland. Am Anfang ist alles in Ordnung, aber irgendwann wird es den Blauländern zu viel Gelb. Sie fangen an große Mauern um die Gelbländer zu bauen. Dadurch sind die Kinder getrennt.
Aber irgendwann fängt ein Kind in Gelbland an, Seifenblasen in die Luft zu blasen. Sie fliegen über die Mauer ins Blauland und zu den Kindern dort. So fangen die Kinder an, Seifenblasen hin und her zu schicken. Bis sie irgendwann sagen: „Das mit der Mauer ist doch blöd!“ So reißen sie die Mauer wieder ein.
Von da an ziehen sich alle grün an, denn grün ist die Farbe der Hoffnung. Und alle Kinder können von nun an das tragen, was sie gern möchten. Sie werden nicht mehr nach Farben sortiert, nicht nach Hautfarben oder nach Religion und so weiter.
Diese Geschichte wird von zwei Erzählern erzählt. Das sind meistens die Erzieherinnen oder auch Eltern, die Lust haben, mitzumachen. Die Kinder spielen die Geschichte pantomimisch mit. Zwischendurch gibt es vier oder fünf Lieder, die alle gemeinsam singen. Das Material dazu ist von uns so aufbereitet, dass die Erzieher*innen das Kita-Musical mit eigenem Mitteln und Möglichkeiten umsetzen können.
Zum Musical gibt es mittlerweile auch sehr viele Filme im Internet, die man sich ansehen und erfahren kann, wie das andere Einrichtungen gemacht haben. Dazu braucht man kein großes Theater, es reicht manchmal auch die Turnhalle der Kita oder die Kirche des Trägers.
Es kann aber auch ganz groß sein. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel in Ratingen ein riesengroßes Projekt begleitet. Da haben sich zehn Kindergärten mit über 200 Kindern zusammengetan. Der Saal in Ratingen war mit über 1.000 Besuchern rappelvoll. Und wir haben dann gemeinsam dieses Stück erzählt und gesungen und es war ein großes Fest und eine große Freude.
Und worum geht es bei Ihrem neuesten Projekt „Aufeinander zugehen, Schätze teilen“?
Das Projekt erscheint im März 2018. Wir haben aus vielen Kindergärten mitbekommen, dass sie sich fragen, wie sie den interreligiösen Dialog zwischen Muslimen, Christen und auch Kindern, die noch keinen Kontakt mit religiösen Fragen hatten, in ihren Einrichtungen gestalten können. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht und geschaut, wie wir einen guten Kontakt zwischen Muslimen und Christen herstellen können. Unsere Idee ist es, aufeinander zuzugehen und sich gegenseitig von seinen Schätzen zu erzählen.
Die christlichen Kinder könnten davon erzählen, warum dieser Jesus von Nazareth ein ganz besonderer Mensch ist und was er gemacht hat. Und die Muslime könnten berichten, warum für sie der Prophet Mohammed so interessant ist. Dabei entdecken wir auf einmal, dass es da ganz viele gemeinsame Geschichten gibt: Bei uns heißt der Jonas, bei euch heißt er Junus. Bei uns heißt er Joseph und bei euch heißt er Yussuf. Das ist eine ganz spannende Reise.
Zusammen mit einer Muslima aus Dortmund und zwei, drei Theologen haben wir die Geschichten entwickelt und bringen sie nun zusammen mit Liedern und Ideen heraus, wie man das Ganze gestalterisch mit den Kindern darstellen kann.
Wie kommen Sie auf die Ideen für Ihre Lieder und Geschichten?
Also bei „Aus Fremden werden Freunde“ war es so, dass mir zwei Erzieherinnen die Geschichte geschickt haben. Das war Anfang der Neunziger, als so die erste fremdenfeindliche Welle durch unser Land ging. Es gab Rostock und Hoyaswerder, wo Flüchtlingsheime brannten. Die beiden haben mir das einfach geschickt und gesagt: „Schau doch mal, ob du damit etwas anfangen kannst. Wir haben dafür noch keine Lieder, aber die Geschichte haben wir“. So ist es zu diesem Kita-Musical gekommen.
Außerdem höre ich ganz genau zu, wenn ich bei meinen Konzerten mit Kindern spreche. So erfahre ich, welche Themen ihnen gerade wichtig sind. Dazu kommt, dass ich ein sehr waches Herz behalten habe und versuche, die Welt auch mit Kinderaugen zu sehen – zum Beispiel, wie wir mit unserem Planeten umgehen.
Ich bin seit fünf Jahren auch dreifacher Großvater und bin dadurch noch engagierter geworden. Denn meine Enkelkinder – die sind gerade 5, 3, und 0 – werden die nächste Jahrhundertwende wahrscheinlich erleben. Und ich frage mich schon: „Wie wird es in 100 Jahren auf diesem Planeten aussehen?“
Heute morgen machte die Zeitung auf mit der Meldung, dass der Meeresspiegel schneller steigt, als alle erwartet hatten. Neue amerikanische Studien zeigen dramatische Anstiege. Und wenn wir nicht anfangen – wir, meine Generation, die wir es ja vermasselt und Raubbau getrieben haben – dann verlieren wir ein großes Stück an Glaubwürdigkeit. Wir sind also ganz dringend aufgerufen, diesen Planeten sorgsamer und achtsamer an unsere Kindern zu übergeben. Und dabei spielen Musik und gute Geschichten und Theater, mit denen Kinder ihren Ausdruck finden können, eine ganz, ganz wichtige und zentrale Rolle.
Vielen Dank für das Gespräch!
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