Mit Kindertheater spielend lernen

Kinder lernen vor allem durch körperliche Erfahrung und Nachahmen. Theater kann daher in der Kita einen ganz besonderen Erfahrungs- und Lernraum bieten. Ein Interview mit der Theaterpädagogin Sonja Ewald.

Sonja Ewald ist eine Bewegerin. Und zwar bewegt sie als Schauspielerin und Tänzerin nicht nur sich, sondern mit ihren Stücken auch die Köpfe und Herzen von Kindern. Ihre Ausbildung hat sie an der Kunsthochschule Utrecht gemacht. Zwanzig Jahre hat sie danach in den Niederlanden gelebt und gearbeitet.

Nun ist sie wieder nach Deutschland gezogen und bringt die Erfahrungen aus zwei Kulturen mit. Vor einigen Jahren hat sie das deutsch-holländische Theaterkollektiv Mimekry (www.mimekry.de) gegründet und führt ihre Stücke in Kitas, Schulen und Theatern auf. Darin verbindet sie Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) mit – na klar – ihrer Freude an Bewegung.

Was macht das Theater Mimekry und wie kam es dazu?

Mimekry entwickelt und spielt Vorstellungen für Kinder, in denen wir Bewegungstheater, Maskenspiel, Figurentheater und Tanz miteinander verbinden. In unseren Anfängen ging es uns vor allem darum, das Vorstellungsvermögen von Kindern anzusprechen und sie auch selbst in Bewegung zu bringen.

Weil Kinder ja meist sehr direkt reagieren auf das, was sie gerade sehen und erleben, ist für mich Kindertheater ohne Interaktion gar nicht denkbar. Während der Vorstellungen sind die Kinder bei uns viel am Geschehen beteiligt. Und direkt danach spielen und tanzen wir gemeinsam mit ihnen die inspirierendsten Figuren und Aktionen nochmal nach.

Wie kam es zu dem Stück “Das Insektenhotel”, bei dem du BNE mit Theaterpädagogik verbindest?

Das Thema Umweltschutz beschäftigt mich schon seit meiner Schulzeit. Ein Grund, warum ich jetzt noch einmal neben meiner Theaterarbeit Umweltwissenschaften studiere. Bei ‚Das Insektenhotel‘ habe ich Theater und Naturpädagogik miteinander verbunden – auch einfach um noch ein bisschen mehr ‚die Welt zu retten‘. Ausgangspunkt bei der Entwicklung war die Frage: Wo kommt eigentlich unser Essen her? – das wächst ja nicht im Supermarkt!

Weil ich Insekten an sich schon länger einfach inspirierend finde, habe ich diese und deren Nützlichkeit im Garten in den Mittelpunkt gestellt. Kinder erfahren durch das Stück nicht nur etwas über die Bedeutung, die u.a. Insekten haben, die ja zunehmend bedroht sind. Sie spielen diese auch nach, und stellen so einen – ich nenne es mal – persönlichen Bezug her. Wenn sie dann danach wieder mal auf einen echten Wurm oder eine echte Biene treffen, ist hoffentlich ihre Neugier geweckt. Und das führt zu mehr Wertschätzung für unsere Umwelt.

Erst später – in meinem Studium in Deutschland – habe ich erfahren, dass dieser Ansatz viele der Gestaltungskompetenzen fördert, die für ‚Bildung für Nachhaltige Entwicklung‘ formuliert wurden. Zum Beispiel spricht das Stück alle Sinne an: Das Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und eben das Gefühl für Bewegung, den eigenen Körper. Mit einfachen Mitteln erzähle ich ziemlich viel – ohne Reizüberflutung.

A propos Deutschland: Welche Unterschiede gibt es im Vergleich zu den Niederlanden?

Das Kindertheater hat in den Niederlanden einen ganz anderen Stellenwert. Es ist experimentierfreudiger und breiter gefächert. Während es in Deutschland vor allem viel Puppentheater gibt. Deshalb empfinden viele hier in Deutschland meine Arbeit auch als ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass die Verbindung zwischen Theater und Pädagogik in den Niederlanden ein eigenständiger Bereich ist. Dort kann man zum Beispiel Theaterpädagogik studieren und Theaterdozent werden. Das ist in Deutschland noch immer erst im Kommen.

Und schließlich ist Theater in Kitas – die dort allerdings Teil der Schule sind – und Schulen mehr institutionalisiert. Es gibt Agenturen, die Schauspieler*innen und Theatermacher*innen vertreten. Sie stellen eine wichtige Verbindung zwischen den Theaterschaffenden und den Schulen her.

Dennoch ist nicht alles so rosig, wie das nun vielleicht klingt. In den letzten Jahren hat die Regierung viele Gelder gekürzt. Ganz allgemein hat sich die Stimmung in Bezug auf Theater und Kultur gewandelt. Vor einiger Zeit war da in den Medien oft die Rede davon, dass Kultur ja nur so ein ‚Hobby von Linken‘ sei, was man nicht mehr finanzieren wolle. Hier geht in den Niederlanden leider zur Zeit viel kulturelle Infrastruktur verloren, die sich in Deutschland gerade stärker herausbildet.

In Deutschland treffe ich auf ein großes Interesse an Kindertheater. Das Problem hier ist, dass es kaum Institutionen gibt. Jede Kita muss sich selbst um Gelder und Fördertöpfe kümmern. Das macht es natürlich ein bisschen umständlicher.

Warum ist Theaterpädagogik in der Kita sinnvoll und wichtig?

Also Kinder spielen ja ohnehin einfach viel und lernen eben vieles dadurch. Sie sehen, wie sich die Erwachsenen verhalten und ahmen das nach. Und was Erwachsene TUN wird umittelbar übernommen und wiegt sehr viel schwerer, als das was diese SAGEN. Deshalb ist erlebnisorientiertes Lernen insgesamt so wichtig – also dass das Lernen in reale und konkrete Erfahrungen und Handlungen eingebettet ist. Kitas in Deutschland machen in dieser Richtung schon ganz tolle Sachen. Und Theater kann ein Teil davon sein.

In deinen Theaterstücken lernen Kinder als auch etwas?

Für Kinder ist es ja immer toll, wenn sie mitdenken und mithelfen können. Deshalb nutze ich bewusst solche Interaktionen. In dem Stück “Das Insektenhotel” geht es zum Beispiel um ein kleines Mädchen, das von seinem Opa ein Stück im Garten bekommt, um dort selbst etwas anzupflanzen. Sie will Kartoffeln anpflanzen – mit dem Ziel daraus Pommes zu machen!

Nachdem die Pflanzkartoffel in die Erde gebracht wurde, frage ich die Kinder, was denn nun passieren muss, und rufen sie dem Opa zu, dass man nun gießen muss. Später gibt es ein Problem: Blattläuse! Ich kündige dann an, dass es da aber ein Tierchen gibt, dass diese gerne aufisst.

Mit Maske und rotem, gepunkteten Regenschirm erscheine ich dann kurz darauf wieder und so entdecken die Kinder selbst: „Ah, das tut also der Marienkäfer“, und sie zeigen mir als hungrigem Käfer dann auch, wo all die Blattläuse zu finden sind. Das Problem lösen wir also gemeinsam. Am Ende bewegen sich die Kinder auch noch einmal gemeinsam mit mir wie ein Regenwurm und lernen dabei, dass der die Erde weich macht.

Wenn sich Kinder auf diese Weise mit Wissen auseinandersetzen, verinnerlichen sie es und bekommen diesen persönlichen, ‚verkörperten‘ Zugang – zum Beispiel zur Natur, aber auch zu sich selbst. Immer mehr Menschen fordern ja, dass Kinder bereits in der Kita mit digitalen Medien lernen sollen. Doch wie sollen sie etwa zwischen echten und falschen Informationen unterscheiden können, wenn sie sich nie körperlich in Beziehung zu ihrer echten Umwelt erfahren haben? Medienkompetenz fördert man für diese Altersgruppe, indem man sie noch NICHT an den Computer lässt!

Welche Tipps hast du für Erzieher*innen, die sich nun für die Theaterpädagogik interessieren?

Zunächst gehöre ich nicht zu denjenigen, die denken: Alle müssen in Kitas Theater spielen. Es ist eine Möglichkeit von vielen, die es im Bereich des erlebnisorientierten Lernens gibt. Doch wenn Erzieher*innen Freude am Theaterspielen haben, dann ist das für Kinder toll. Dann möchte ich sie ermutigen, einmal beim Vorlesen mit verschiedenen Stimmen, Rollen oder Verkleidungen zu experimentieren.

Und natürlich kann jede*r – so wie ich das Tanzen und die Masken als ein besonderes Element in meinen Stücken einsetze – die eigenen Vorlieben und Talente nutzen: Wer gerne singt, sollte Gesang einbauen, wer gerne Tanz die Bewegung. Das kommt dann auch bei den Kindern an.

Danke für das Gespräch!

Über Sonja Ewald / Mimekry

Wir sind ein deutsch-holländisches Kollektiv, das einst von drei Theaterschaffenden in Rotterdam gegründet wurde: von Penina Schupper, Judika Leßmann und Sonja Ewald.

Wir entwickeln Vorstellungen für Kinder, in denen wir Bewegungstheater, Maskenspiel, Objekttheater und Tanz auf unsere ganz eigene Art miteinander verbinden. Seit 2005 spielen wir in Theatern, Stadtteilzentren und Schulen überall in Norddeutschland und den Niederlanden. In unserer Anfangszeit haben wir auch bei Straßentheaterfestivals gespielt.

Ausdrucksmittel sind immer: Bewegung und Körpersprache sowie oft auch die Arbeit mit verschiedenen Masken, inspiriert u.a. durch die Ideen von Jacques Lecoq. Sonja Ewald arbeitet bewusst mit einfachen bis einfachsten Mitteln und wenig Bühnenbild. Die Stücke sind dadurch auch flexibel in Bezug auf den Spielort. Vor allem aber regen sie die Fantasie der Zuschauer an – ob groß oder klein. Denn Theater entsteht am Ende immer in den Köpfen der Zuschauer!

Fotos: Titelbild Wandelwoche Hamburg, mimekry.de